Ein netter Kerl, der fliegen kann

Sigurd Pettersen war bis vor kurzem ein ziemlich normaler Student. Nun hat er die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee gewonnen und ist dabei, ein Star zu werden. Dabei weiß er, dass er vor allem eines bleiben muss: locker

AUS INNSBRUCK KATHRIN ZEILMANN

Das Außergewöhnliche an Sigurd Pettersen ist, dass er eigentlich gar nicht außergewöhnlich ist. Er ist 23 Jahre alt, kommt aus einem norwegischen 3.000-Seelen-Ort namens Veggli und studiert in Oslo Sport. Hauptberuflich ist er allerdings Skispringer, derzeit ein ziemlich erfolgreicher: Nach zwei Siegen bei der Vierschanzentournee in Oberstdorf und in Garmisch-Partenkirchen wird Pettersen wohl – wenn er sich in Innsbruck (Sonntag) und Bischofshofen (Dienstag) keine groben Patzer mehr erlaubt – die Gesamtwertung der Tournee gewinnen.

Pettersen ist kein springender Teenie-Schwarm, der im Flug Mädchenherzen bricht, wie es Tourneesieger Sven Hannawald vor zwei Jahren war. Er ist auch kein eiserner Schweiger, der seine Erfolge mit todernster Miene quittiert, wie es Vorjahresgewinner Janne Ahonen gemacht hat. Pettersen ist einfach ein netter junger Mann, der seine Siege feiert, wie sie fallen. Einzig bemerkenswert: Auf Sigurd Pettersen als Tourneefavoriten haben die wenigsten gewettet.

Freilich: Er hatte in dieser Saison schon gewonnen, doch was zählten die Siege in von Wind beeinträchtigten Konkurrenzen schon? Hannawald, Ahonen und Adam Malysz, sie würden den Tourneesieg schon wieder unter sich ausmachen. Dachte man. Denkste! Die großen drei haben ihre Siegchancen fast schon völlig eingebüßt.

Wer die Weltmeisterschaft des Vorjahrs verfolgt hat, erinnert sich vielleicht an jenen norwegischen Springer, der sich bei einem Trainingssprung die Schulter ausgekugelt hatte und drei Tage später mit seinem Team zur Bronzemedaille geflogen war. Das war Pettersen, der zudem mit Platz 10 im Gesamtweltcup auf sein großes Talent aufmerksam gemacht hatte. „Ein wilder Hund ist das“, kommentierten das Experten. „Ich bin ehrgeizig. Aber ich kann das Risiko einschätzen“, sagt Pettersen.

„Keep smiling“, sagt er oft, wenn er in diesen Tagen von Reportern befragt wird. Will heißen: „Ich will nicht an die Favoritenrolle denken.“ Favorit ist er nun trotzdem. Er hat in Oberstdorf mit Schanzenrekord gesiegt. Seine Sprünge waren traumhaft sicher, ohne Fehler, einfach nur schön. Als er am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen zu seinem zweiten Tourneesieg flog, wurden Fragen laut, ob zwei Jahre nach Hannawalds Vierfachtriumph wieder der Gewinn aller vier Einzelspringen möglich sei. Die Meinungen gehen auseinander. „Der Sigurd ist bekannt, dass er mal einen Ausrutscher hat. Ich sehe ihn noch nicht als Gesamtsieger“, glaubt Michael Uhrmann, derzeit Vierter im Klassement. Sven Hannawald dagegen meint: „Er wird gewinnen. Und zu 75 Prozent auch alle vier Springen.“

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da wunderte sich die Fachwelt noch über die schwachen Leistungen der norwegischen Skispringer. Die Athleten der nordischen Wintersportnation schlechthin hatten offenbar das Fliegen verlernt. Dann wurde Mika Kojonkoski, der schon die Finnen und Österreicher zum Erfolg führte, im Sommer 2002 zum Cheftrainer gemacht. Ihm wurde es zugetraut, aus harmlosen Mitläufern wieder Sieganwärter zu machen. Dem Trainer mit den markanten Gesichtszügen gelang es. Aber wie?

Auch Pettersen weiß so recht keine Antwort darauf. „Das ist schwierig zu erklären. Aber er hat uns Selbstvertrauen gegeben“, sagt er nur. Kojonkoski selbst spricht von einer Verbesserung der Struktur. Die Konkurrenz zwischen den Stützpunkten hat er aufgehoben, indem er die alleinige Verantwortung übernahm. In einer körperlich besseren Verfassung seien die Springer zudem. „Harte Arbeit“ sei das alles gewesen. „Und jetzt ernten wir den Lohn.“ Dabei ist Kojonkoski mit seinem Latein noch nicht am Ende, auch bei Pettersen nicht. „Im Absprung hat er noch Reserven. Er weiß das und arbeitet daran“, so der Trainer.

Pettersen wiederum will sich weiter nicht ablenken lassen von all den Vermutungen, die ihn schon jetzt zum Tourneesieger machen. Und auch davon nicht, dass er im skisprungbegeisterten Norwegen bei seiner Rückkehr kein gewöhnlicher Student mit der Leidenschaft fürs Skispringen mehr sein wird, sondern ein gefeierter Star.