Geisel der selbst erzeugten Angst

Pannen bei der Terrorfahndung in den USA führen in der Bevölkerung zu Unmut und bei lokalen Behörden zur Verweigerung. Arizona will schon aus dem Code Orange aussteigen. Opposition wirft der Regierung vor, absichtlich Ängste zu schüren

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Seit zwei Wochen herrscht in den USA der „Code Orange“, die zweithöchste Terrorwarnstufe. Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land wurden massiv verstärkt. Städte wie New York oder Las Vegas fanden sich im Ausnahmezustand wieder.

Tom Ridge, der Minister für Heimatschutz, ist mittlerweile ein vertrautes Gesicht geworden. Allabendlich flimmert er über die Bildschirme und warnt vor drohenden Anschlägen. Bislang hat es keine gegeben – eine Tatsache, die der US-Regierung als Beweis gilt, mit der Ausrufung der hohen Sicherheitsstufe richtig zu liegen.

Doch einige Pannen lassen Zweifel an dem Sinn der Antiterrormaßnahmen aufkommen. Sie sind längst nicht mehr auf die USA beschränkt und besonders im internationalen Flugverkehr zu spüren. Manche Flugzeuge werden in der Luft zur Umkehr gezwungen. Ausländische Passagiere und Flugbesatzungen werden stundenlang von FBI-Beamten verhört. Andere Maschinen erhalten bis zur Landung Begleitschutz von US-amerikanische Kampfjets.

Darüber hinaus verlangt die US-Regierung auf Routen in die USA bewaffnete Flugbegleiter, eine Maßnahme, die von europäischen Pilotenvereinigungen kritisiert wird. Besucher, die ein Visum der USA besitzen, müssen sich seit Jahresbeginn Fingerabrücke abnehmen lassen.

Alle Entscheidungen sollen in Absprache zwischen Fluggesellschaft und jeweiliger Regierung getroffen worden sein, Grundlage dafür sind US-Geheimdienstinformationen. Doch am Freitag unterlief den Geheimdiensten eine peinliche Panne,die erneute Fragen über ihre Arbeitsweise aufwerfen und dem Verdacht der Franzosen, dass es sich womöglich um subtile Bestrafungsaktionen handelt, neue Nahrung geben dürfte.

Auf Druck der USA hatte Air France über Weihnachten sechs Flüge zwischen Los Angeles und Paris gestrichen. Angeblich sollten auf den Passagierlisten die Namen von mindestens sechs Terrorverdächtigen stehen – ein Irrtum, wie sich nun herausstellte. Die sechs Verdachtspersonen hätten lediglich gleich lautende Namen wie gesuchte Terroristen im FBI-Register, teilte das französische Innenministerium in Paris mit. Die Ermittler verhörten ein Kind, einen wallisischen Versicherungsmakler, eine ältere chinesische Restaurantbesitzerin und drei weitere Franzosen.

Dieser Vorfall heizt die Debatte über den Sinn der andauernden Terrorwarnungen an. Amerikaner beginnen sich zu fragen, ob sie nicht längst im Bann des Terrors leben. Mittlerweile reichen abgefangene Gespräche zwischen Terrornetzwerken aus, um die Vereinigten Staaten zu erschüttern. Vorher selbstverständliche Freiheiten würden eingeschränkt und dem Staat enorme Kosten aufgebürdet, klagen Gouverneure, Bürgermeister und sogar Polizeichefs.

Viele Kommunen stöhnen unter der finanziellen und personellen Last, die Überstunden der Polizei und zusätzliche Ausrüstung mit sich bringen. Und Sicherheitsexperten sorgen sich, dass die Bevölkerung den Alarmzustand über kurz oder lang nicht mehr ernst nimmt. Sie warnen davor, die Amerikaner zu „Geiseln der Angst“ zu machen.

Die Opposition vermutet ohnehin, dass es der Regierung weniger um Sicherheit, sondern politisches Kalkül geht, da ein Klima der Angst ihrer politischen Agenda dienlicher ist. Erste Bundesstaaten rebellieren daher gegen das aus Washington aufgedrückte, kostspielige und überzogene Warnsystem. Arizona erwägt, sich in Zukunft „Code Orange“ zu verweigern.