Bremens Leonardo

Focke im Focke: Der Sohn des Museumsgründers und Bruder des Flugzeugbauers wird erstmals umfangreich gewürdigt. Wilhelm Heinrich F. erweist sich als zeichnender Utopist, der die Nutzung natürlicher Ressourcen propagiert

Vielleicht waren es die besten Minuten seines Lebens: Im September 1909 hebt Wilhelm Heinrich Focke mit seinem selbst gebauten Flieger vom Bornstedter Feld bei Potsdam ab, dreht ein paar Runden – und landet unversehrt. Das war beileibe nicht selbstverständlich. Fockes mit Planen bespannte Stahlrohrkonstruktion samt 40 PS-Propeller ist eines der allerersten deutschen Motorflugzeuge, mit dem eingehängten Gartenstuhl und der Fahrradbereifung macht es einen unverkennbar pionierhaften Eindruck. Nun ist sein Nachbau als Modell im Focke-Museum zu sehen.

Die von Heinz-Gerd Hofschen kuratierte Ausstellung über Wilhelm Heinrich Focke ist die erste umfangreiche Würdigung des Malers und Konstrukteurs. Zwar ist er der Sohn des Museumsgründers, des seinerzeitigen Senatssyndikus Johann Focke. Aber er stand stets im Schatten seines jüngeren Bruders Henrich, der als Flugzeugbauer bekanntlich ungleich erfolgreich wurde: Der gründete die Focke-Wulf-Werke.

Wilhelm Heinrichs Kurzflug stellte eher einen öffentlichen denn technischen Erfolg dar: Nach der spektakulären Landung wollte der Motor partout nicht wieder anspringen, woraufhin der Finanzier des Unternehmens, der Bremer Anwalt Alberti, gleich ganz absprang. Nichtsdestoweniger erweist sich Wilhelm Heinrich als Ernst zu nehmender technischer Utopist, wie die Ausstellung anhand zahlreicher Entwürfe eindrucksvoll dokumentiert.

Focke entwickelte fahrbare Windmotoren, Wasserturbinen und mehrmastige Katamarane, die mangels finanzieller Möglichkeiten aber nie über das Modellstadium hinaus kamen. Immerhin nahm er mit den direkt auf dem Wasser aufliegenden Stummelflügeln seiner selbst erdachten Doppeldecker die Lösung vorweg, mit der Claude Dornier ein paar Jahre später seine Startprobleme bei der Do-X löste.

Neben mancher hochmodern anmutenden technischen Trouvaille ist auch die Skizze einer Zugbrücke zu entdecken, die sich mit Hilfe eines Gezeiten-Senkkastens heben lassen sollte. In einer Zeit, in der die allgemeine Technikbegeisterung vor allem auf Verbrennungsmotoren basierte, erweist sich Focke damit geradezu als „Urgrüner“. Übrigens auch als Bioniker, der sich intensiv an von der Natur entwickelten funktionalen Formen orientierte. Schon der Potsdamer Versuchsflieger wurde wegen der hinten sitzenden Hauptflügel „Ente“ genannt, Fockes Strand- und Eissegler – die es immerhin zur Patentreife brachten – wirken ausgesprochen ergonomisch.

Im Übrigen war Focke auch akademisch ausgebildeter Maler. Das komplizierte Muskelspiel in Pferdeleibern interessierte ihn ebenso wie das bei nackten Männern. Samt seiner norddeutschen Landschaften sind auch diese Werkgruppen in der Ausstellung präsent. Es ist spannend zu beobachten, wie Fockes gleich bleibende Motivik zunächst von einer eher naiven Naturauffassung, dann von einer expressiven, sichtlich von der „Brücke“ beeinflussten Haltung und schließlich von nahezu Nolde‘scher Impressionistik geprägt wird. Zu bedenken ist ferner, dass das Pferd an sich, heutzutage in der Sofa-Sujet-Skala gleich nach dem röhrenden Hirsch einzuordnen, zu Fockes Zeit ein durchaus avantgardistisches Objekt sein konnte: Zuvor hatte es vornehmlich als bildnerischer Fürstenuntersatz fungiert.

Der 96-jährig verstorbene Focke zählte zu dem Typus alter Herren, der noch hochbetagt gern Kopfstände vorführt. Entsprechend unermüdlich war seine Schaffenskraft: Auf bis zu 10.000 schätzt Nachlassverwalter Helmut Hadré allein die Zahl der Ölbilder. 60 sind jetzt im Museum zu sehen.

Henning Bleyl

Bis 11. 1. Eröffnung: Sonntag 11 Uhr