Trauern mit Erfolg

Warum der FC St. Pauli „unearthed“ durch die Gegend fliegt, zeigte sich in der erfolgreichen Retterkampagne

Hamburg taz ■ In der Polizeisprache gibt es den Begriff „finaler Rettungsschuss“, und der ist so schön absurd, dass er sich perfekt dafür eignet, die nicht minder absurden Vorkommnisse zu umschreiben, die sich im Sommer 2003 rund um den FC St. Pauli abgespielt haben. Die so genannte Retter-Kampagne brachte 2,35 Millionen Euro ein, so dass der Verein die Zahlungsunfähigkeit abwenden konnte und die Lizenz für die Regionalliga erhielt. Und dennoch kam er durch die Kampagne zu Tode, zumindest wurde die Substanz des Klubs so schwer verletzt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann sie endgültig stirbt.

Unter marketingstrategischen Aspekten mag es beeindruckend sein, dass ein Zweitligaabsteiger innerhalb weniger Wochen 100.000 Soli-T-Shirts verkauft – und davon sogar ein paar nach Taka-Tuka-Land. Wer aber über Jahre dazu beigetragen hat, dass St. Pauli in Ansätzen einen Gegenentwurf zum Fußball-Mainstream verkörpert, dem ist das einerlei. Dass bei der so genannten Rettung Polit-Zombies (Ole von Beust) und alte Feinde (Mc Donald‘s, FC Bayern) mitmischen durften, hat der harte Kern der Fans als eine Erniedrigung empfunden, die durch nichts wieder gutzumachen ist – für den Aufruf, zum Wohle des Klubs zu saufen oder Telefonsex zu praktizieren, gilt desgleichen. Die für Regionalligaverhältnisse astronomischen Zuschauerzahlen belegen im Übrigen nicht das Gegenteil, denn der Abnabelungsprozess verläuft schleichend.

Abgeschlossen sein dürfte er bei der nächsten Rettung. Wenn es in der nächsten Saison nicht klappt mit dem Aufstieg, muss ja wieder eine kommen, von wo und wem auch immer. Da mit einer zweiten Kampagne weder in Ottensen noch in Ottobrunn jemand zu mobilisieren sein wird, bringt die vermeintliche Erlösung dann womöglich irgendein Abramowitsch für Arme. Oder eine dem Klub verbundene Getränkefirma, die ihr Gesöff für Bier hält, kauft sich den Stadionnamen. Die wahre Rettung – ein langfristiges Konzept, in dem die sportlichen und finanziellen Komponenten aufeinander abgestimmt sind – ist dagegen so wahrscheinlich wie der Untergang des Kapitalismus.

Tröstlich wenigstens, dass kurz vor Weihnachten ein Song erschienen ist, der zu den Gefühlen passt, die der FC St. Pauli in 2003 ausgelöst hat: In der 5-CD-Box „Unearthed“, in dem unveröffentlichte Stücke des kürzlich verstorbenen Johnny Cash dokumentiert sind, findet sich auch eine Version von „You‘ll Never Walk Alone“, die er, nur von einer Kirchenorgel begleitet, in einer Kathedrale aufgenommen hat. Da klingt der Paadie-Klassiker plötzlich wie ein Trauerfeier-Soundtrack. RENÉ MARTENS