Herrn Grützmanns Gespür für Schnee

Ein Buch über die Winter in Bremen bestätigt den Verdacht, dass Eis und Schnee nicht mehr dasselbe sind wie früher

Bremen taz ■ Trefflich lässt sich darüber streiten, ob die Winter vor die Hunde gehen, es normal oder unnormal ist, dass in Bremen so selten Schnee liegt, ob es stimmt, dass es anno dunnemals häufiger geschneit hat und ob die Leute früher regelmäßig mit Schlittschuhen über die Weser zur Arbeit gefahren sind. Für alle, die ihre Behauptungen zum Winter in Bremen gerne hin und wieder mit ein wenig Zahlenmaterial unterfüttern, gibt es jetzt das ultimative Nachschlagewerk.

„Die Winter in Bremen von 1900 bis 2003“ des Oldenburger Autors und Wasserbauingenieurs Jörg Grützmann schafft Klarheit. „Es stimmt die Behauptung älterer Menschen, dass es früher mehr Kälte in den Wintern gegeben hat“, heißt es da. Wer es ganz genau wissen will, dem hilft die Tabelle im Anhang: Peinlich genau notiert sind dort die Anzahl der Frosttage, der Eis- und Schneetage.

So könnte man in einem Streit um den kältesten Winter im letzten Jahrhundert die Frage in die Runde werfen, wie man den denn messen möchte und dann in Anlehnung an Grützmanns Werk vorschlagen, die Summe aller Minusgrade der drei Wintermonate des jeweiligen Jahres zu bilden. Demnach wäre der Winter 1939/1940 der kälteste – von Grützmann als „der große Winter“ bezeichnet – mit „insgesamt minus 490 Grad“, könnte man lässig in die Runde streuen, nur um dann anzumerken, dass die tiefste Temperatur allerdings im Winter 1978/79 – „der Katastrophenwinter“ – gemessen wurde: „minus 20,7 Grad“. Zu den besonders zu erwähnenden Wintern gehört auch der „Endloswinter“ 1995/96 und der „Eiskatastrophenwinter“ von 1928/29.

Die Hitliste der besonders winterlichen Winter wird ergänzt von Erörterungen zum Thema „Weiße Weihnachten“ – nur 13 Mal zwischen 1900 und 2003“ – Erzählungen über Schlittschuhlaufen auf der Autobahn, fehl geschlagenen Eissprengungen der Bundeswehr, Regeln für Bremer Eislaufwetter – „sechs Tage minus drei Grad oder 3 Tage minus sechs Grad und das Blockland hält“ – und einer kleinen Klimakunde. Unsere Kinderbilder von schnee-be-deh-he-hecktem Feld sind nämlich laut Grützmann zum großen Teil in der „Kleinen Eiszeit“ entstanden, die von 1380 bis 1895 währte. Aber, so wird ein Wetterkundler zitiert, „das winterliche Klima endete im ausgehenden 19. Jahrhundert, nachdem der Winter in der Endphase von 1880 bis 1895 seine Zähne besonders grimmig gezeigt hatte“.

Seit 100 Jahren ist es mit dem Winter also ohnehin nicht mehr so weit her und die letzten 14 Jahre warteten überwiegend mit „Schlackerwintern“ auf. „Winter ist, wenn man friert und sich auf den Ofen freut“, erklärt der 1954 geborene Autor auf Nachfrage. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, dass es auch vor 1989 immer wieder Phasen mit milden Wintern gab. Keine Winterdiskrimierung also, sondern eine Reminiszenz an Schnee und Eis. Eiken Bruhn

Jörg Grützmann: „Die Winter in Bremen von 1900 bis 2003“, Isensee Verlag, 7,80 Euro.