LEHRER MÜSSEN AUF RELIGIÖSE SYMBOLE VERZICHTEN KÖNNEN
: Kein Kopftuch. Keine Kippa. Kein Kreuz

Wer das Kopftuch verbiete, dürfe die Mönchskutte nicht dulden, sagt Bundespräsident Rau (SPD). Das sei nicht vergleichbar, weil das Kopftuch anders als das Kreuz die Unterdrückung der Frau symbolisiere, hält Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) dagegen. Die Haltung im Streit um Kopftuch, Kippa und Kruzifix im Klassenzimmer lässt sich offenbar keiner parteipolitischen Richtung zuordnen. Dass Sozialdemokraten muslimische und christliche Symbole eher gleich bewerten und ohnehin mit einem laizistischen Schulsystem sympathisieren, diese Simplifizierung greift nicht.

Rau und Thierse trennt nur scheinbar die Weltanschauung. Tatsächlich argumentieren sie auf unterschiedlichen Ebenen. Rau interpretiert das Tuch als religiöses Symbol, Thierse sieht in ihm das Stoff gewordene Exempel einer Ideologie, die elementare Menschenrechte unterwandert. Dies mag zwar in vielen Einzelfällen stimmen. Doch ist zweifelhaft, ob der Gesetzgeber angesichts von etwa 70 islamischen Strömungen allein in der BRD entscheiden kann und darf, dass ein Kopftuch zwangsläufig Unterdrückung bedeutet.

Letztlich geht es um die Frage, welches Ideal des Staatsbeamten wir gesetzlich vorgeben möchten. Muss sich der Lehrer einer staatlichen Schule für den Unterricht zumindest formal in ein weltanschauliches und religiöses Neutrum verwandeln? Oder dulden wir einen Meinungs- und Religionspluralismus – auch gegenüber Grundschülern?

Wer sich über Rau empört, ignoriert einen wichtigen Argumentationspartner an seiner Seite: das Bundesverfassungsgericht. Es urteilte im Sinne des Präsidenten: Entweder toleriert man sämtliche religiösen Symbole im Klassenzimmer – oder verbietet alle auf der Grundlage der Gleichbehandlung. Akzeptiert man zusätzlich Thierses Einwand, das Kopftuch sei zumindest in vielen Fällen ein Zeichen der Unterdrückung der Frau, überzeugt nur eine Lösung: Ein Verbot sämtlicher religiöser Symbole im Unterricht. Das heißt nicht, das Religion gänzlich aus dem öffentlichen Leben verschwindet und Schüler zukünftig ohne jegliche ethische oder religiöse Orientierung aufwachsen. Schließlich bieten die meisten Bundesländer Religionsunterricht an, in jeder Kleinstadt gibt es konfessionelle Schulen. Doch eine Gesellschaft mit rund drei Millionen Muslimen und weit mehr, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, lässt sich nicht mehr frag- und konfliktlos unter ein christliches Leitbild subsumieren. Dies sollten zumindest jene respektieren, die sich als Lehrer im Staatsauftrag zu einer weltanschaulich neutralen Erziehung verpflichtet haben. COSIMA SCHMITT