Filme machen an

Anspruchsvolle, sexuell vielgestaltige Pornos zeigen – das ist der Wunsch der Kuratoren, die das Pornfilmfestival organisiert haben. Bis zum Sonntag lässt sich überprüfen, ob sie Fortune hatten

VON JURI STERNBURG

Sex im Kino hat einen fahlen Beigeschmack. Mit dem Aufkommen von Video sank die Zahl der Pornokinos in den Städten, und spätestens seit es das Internet gibt und der dem Pornofilm Zugeneigte sich jederzeit alles auf den Bildschirm laden kann, sterben noch die letzten erotisch veranlagten Lichtspielhäuser aus. Schuld daran ist der moderne Mensch. Mit einer Entschlossenheit, die an Monogamie grenzt, hat er dafür gesorgt. Getreu dem Motto „Warum vor allen, wenn’s auch heimlich geht“ hat das Internet die Vorherrschaft in Sachen Sex übernommen. Die Pornoindustrie verdient im Netz jede Sekunde 2.304 Euro. Will heißen: Bevor Sie diesen Satz zu Ende gelesen haben, haben 28.285 Menschen eine Erotikseite besucht.

Die Matratzenträger

Ein reizvolles Anliegen also, das die Veranstalter des Pornfilmfestivals verfolgen. Die fünf Kuratoren sind nun zum dritten Mal mit dem frommen Wunsch angetreten, die Säle der drei Westberliner Ur-Kinos Moviemento, Eiszeit und Xenon mit anspruchsvollem beziehungsweise sexuell vielfältigen Pornos zu füllen. Dies ist ihnen zumindest am Eröffnungsabend eindrucksvoll gelungen. Schon eine halbe Stunde vor Beginn stehen vor dem überaus charmanten Moviemento am Kottbusser Damm jede Menge Besucher. Schnell wird klar, dass der Film in allen drei Kinos gleichzeitig gezeigt werden muss, um dem Andrang gerecht zu werden. Man beobachtet sich ein wenig interessierter als bei gewöhnlichen Kinobesuchen. Als ein Pärchen rein zufällig eine Matratze vorbeiträgt, herrscht allgemeine Belustigung.

Der Großteil der meist jüngeren Festivalbesucher ist aus dem Ausland, im Foyer mischen sich skandinavische, englische, japanische und hebräische Wortfetzen zu dem typischen Premierengebrabbel. Es drängt sich ein wenig der Eindruck auf, dass die Berliner dem Festival fernbleiben, wobei man fairerweise bedenken muss, dass auf Theaterpremieren auch meist mehr Kritiker und Verwandte als Fußvolk auftauchen. Die wenigen Einheimischen, die man im Gedränge zu erspähen glaubt, erinnern ein wenig an die letzten Überlebenden der ersten Wir-frühstücken-am-Paul-Lincke-Ufer-Generation, was durchaus als Kompliment zu verstehen ist.

Als sich die Türen zum Kinosaal öffnen, diskutieren zwei junge Schönheiten neben mir, ob sie nicht etwas zu zart besaitet seien für den japanischen Eröffnungsfilm: „The Bad Luck Betties“ von Winkytiki, entscheiden sich aber, es wenigstens zu versuchen. Die Veranstalter erklären, dass die Schwerpunkte dieses Jahr unter anderem auf lesbischem Vampirsex (was zu Jauchzern im Publikum führt) und realen Gesprächen über Sexualität liegen. Aber auch dem Gegner der offen zur Schau getragenen körperlichen Liebe bieten sich auf dem Festival interessante Möglichkeiten, wie etwa die Doku über Hustler-Gründer Larry Flint. Der Regisseur des Films entschuldigt sich vor der Vorführung für die 123 Minuten Spielfilmlänge und sorgt für Aufatmen, als er hervorhebt, dass er nicht erwartet, alle Besucher bis zum Abspann zu fesseln. Auch der Kurator möchte sich noch einmal entschuldigen – und dass eventuell zu Recht: Gesponsert wird das ganze nämlich von einem in Erotikfachkreisen als überaus profan geltenden Pay-TV-Sender, der sich auf Pornos spezialisiert hat. Bevor sich der Sprechende jedoch in Floskeln und Phrasen wie „Geld stinkt nicht!“ verliert, brüllt eine junge Dame aus der siebten Reihe: „Ist doch scheißegal, wer das bezahlt, mach den Film an!“, und alle applaudieren.

Nervöse Besucher

Das Licht geht aus, und es beginnt das Vorspiel. Die vier Protagonistinnen werden ganz Tarantino-like, mit bunten Kostümen, Western-Schriftzügen und Rockmusik in Szene gesetzt und die ersten zehn Minuten herrscht entspannte Heiterkeit im Saal. Bis zur ersten Hardcoreszene. Einige versuchen diese durch ein kurzes Gespräch mit dem Sitznachbarn zu überbrücken, doch der Regisseur kennt keine Gnade und liefert eine zehnminütige XXX-Sequenz nach der anderen. Wer erwartet hatte, hier tiefgründige Auseinandersetzungen mit dem Thema Porno oder romantischen Blümchensex durch die rosarote Brille zu erleben, ist an diesem Abend fehl am Platz – und das merkt man dem einen oder anderen nervösen Besucher auch an. Denn, wie die junge Dame im Leopardentanga am Anfang des Films treffend bemerkt: „Where’s a camera – there are pictures!“ – und die gefallen nicht jedem.

Als Erste verlassen die beiden jungen Blondinen den Saal. Während nun also auf der Leinwand ein weißer Polizist von einer dunkelhäutigen Sexbombe nach allen Regeln der Pornokunst durchgenommen wird (und damit anscheinend die geltenden Verhältnisse auf den Kopf stellen soll), muss die Frage erlaubt sein, ob es einen Unterschied gibt zwischen der mit offenem Mund sehnsüchtig auf das Ejakulat wartenden Dame im 0815-Porno und der gleichen Szene eingepackt in eine künstlerisch wertvolle Hülle. Der Zuschauer muss diese Frage mit sich selbst klären. Wer Pornos also schon immer abstoßend fand, wird hier mit Sicherheit nicht eines Besseren belehrt. Sollte man dem Thema allerdings aufgeschlossen gegenübertreten, so lohnt sich ein Besuch allemal. Und wenn es nur wegen der Atmosphäre ist.

Pornfilmfestival Berlin, bis 26. 10. 2008. Programm unter: www.pornfilmfestivalberlin.de