Eingekerkertes Denken

Von ganz normalen Menschen, die mit ihren privaten Sehnsüchten an der krisengeschüttelten Realität scheitern: Jorinde Dröse inszeniert Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ im Thalia in der Gaußstraße

Liebe in Zeiten der Wirtschaftskrise: Was ohnehin selten ohne Hindernisse abgeht, wird durch existenzielle Bedrohung noch komplizierter. „Die Menschen sind weder gut noch böse. Allerdings werden sie durch unser heutiges wirtschaftliches System gezwungen, egoistischer zu sein, als sie es eigentlich wären“, heißt es in Ödön von Horváths Kasimir und Karoline von 1932.

Regisseurin Jorinde Dröse richtete das Volksstück jetzt am Thalia in der Gaußstraße mit Absolventen des Fachbereichs Schauspiel ein. Die erst 26-Jährige war dort zuletzt mit ihrer Inszenierung von Andri Beyelers The killer in me is the killer in you erfolgreich. Die Bühne von Nathalie Plato gleicht einem Rummelplatz mit Lichterketten, schmierigem Vorhang, Einzel- und Paarrutsche.

Karoline, Elisabeth Müller mit Pferdeschwanz und wachem Blick durch ihre Pubertätsbrille, liebt Kasimir, doch heute hat sie nur Augen für sinnleeres Achterbahnvergnügen. Kasimir (Dominik Maringer) ist frustriert, gerade hat er seinen Job verloren. Sie werde ihn sowieso verlassen, prophezeit er seiner Braut. Aus Trotz wird Streit, und so werden Kasimirs Befürchtungen am Ende war. Karoline trifft eine Horde gewissenloser Erfolgsverwöhnter, den Leutnant Schürzinger, seinen Chef Direktor Rauch und Anwalt Speer. Die beiden, von Georg Jungermann und Eray Egilmez als suffselige Fieslinge geboten, nutzen Karoline für ein schnelles Vergnügen.

Derweil trifft Kasimir auf den Merkl Franz, bei Christoph Brüggemann ein dauerhustender Prolet mit Nackenspoiler, und seine verkrampfte Freundin Erna (Katharina Haindl). Sie wagen einen verzweifelten Einbruch, der misslingt. Am Ende haben sich Kasimir und Karoline verloren im Rummel einer Wirtschaftskrise, die in geglückter Unübersichtlichkeit als Freakshow mit Gorillamädchen daherkommt. Die Liebe ist zerplatzt, wie der Luftballon in Herzform, der noch einige Zeit über Kasimir schwebt. „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln“, klagt Karoline am Ende. Jeder verharrt eingekerkert in seiner Weltsicht. Jorinde Dröse legt die Beziehungslosigkeit zwischen den Figuren frei und bewahrt auch über die ironischen Nebenschauplätze den Überblick. Dabei hilft ihr ein Ensemble, das mit großem Einsatz und manchem Talent aus dem Schatten früherer Annäherungen heraustritt.

Caroline Mansfeld

nächste Vorstellung: heute, 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße