Besser fahren mit der CSU?

Stoiber grenzt sich mit seinem Programm zur Steuerreform von der Schwesterpartei ab und probt den Spagat zwischen Volks- und Unternehmerpartei

AUS BERLIN HANNES KOCH

Wir können die segensreiche Wirkung der Steuerreform 2004 noch nicht am Kontostand ermessen. Weil sich Regierung und Opposition vor Weihnachten zu lange gestritten haben, ist es vielen Firmen bislang nicht gelungen, ihre Abrechnungsprogramme für Löhne und Gehälter auf den neuesten Stand zu bringen. Doch schon ködern Christ- und Sozialdemokraten ihre potenziellen Wähler mit der nächsten Steuersenkung. Gerade hat die CSU eine neuen Vorschlag gemacht, der am Mittwoch in Wildbad Kreuth bei der turnusgemäßen Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten beschlossen werden soll.

Der Plan liegt ganz auf der grundsätzlichen Linie der von CDU, liberalen Wirtschaftsforschern und FDP vorangetriebenen Debatte: Die Steuern sollen weiter runter, und zwar für alle – vom Ärmsten bis zum Reichsten. Bayerns Ministerpräsident Stoiber favorisiert einen zukünftigen Steuertarif mit Sätzen zwischen 13 Prozent und 39 Prozent. Der niedrige Steuersatz würde ab 8.000 Euro Jahreseinkommen gelten. Danach soll weiter die „Progression“ wirken, die allmähliche Steigerung der Steuersätze.

Mit seinem „Fünf-Punkte-Programm“ grenzt sich Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) gegen das von CDU-Finanzexperte Friedrich Merz und CDU-Chefin Angela Merkel propagierte „Drei-Stufen-Modell“ ab. Im Merz-Vorschlag gibt es nur noch die Steuertarife 12, 24 und 36 Prozent, der allmähliche Anstieg dazwischen wird abgeschafft (siehe Kasten). Zum Vergleich: Nach der rot-grünen Steuerreform liegen die gültigen Tarife heute zwischen 15 Prozent Eingangssteuersatz und 42 Prozent Spitzensteuersatz.

Die CSU versucht mit ihrem Steuerkonzept, von der großen Schwesterpartei CDU unterscheidbar zu bleiben. Dabei wenden sich die Christsozialen einerseits an die kleinen Leute, indem sie den Aspekt des Sozialen in den Mittelpunkt stellen. Die Signale: Weil Bayern so groß ist und die Leute so weit zur Arbeit fahren müssen, soll die milliardenteure Pendlerpauschale nicht eingeschränkt werden, während die CDU sie aus Finanzierungsgründen teilweise opfern würde. Die gut Verdienenden sollen dank CSU weniger stark profitieren als im Modell von CDU-Konkurrent Friedrich Merz. Der niedrigere Spitzensteuersatz würde nicht bei 36 Prozent liegen wie bei der CDU, sondern bei 39 Prozent. Andererseits versucht die CSU, bei den Wohlhabenden und Reichen Punkte zu machen: Die geplante Senkung der Erbschaftssteuer und die Abgeltungssteuer für Kapitalerträge gehen in diese Richtung. Mit Letzterer fahren Kapitalinvestoren besser, weil der Tarif geringer ausfällt als die Sätze der individuellen Einkommenssteuer. Die CSU probt also eine aktuelle Variante der Verbindung von Volks- und Unternehmerpartei.

Dieses Vorgehen hat Tradition. Mehrfach gefiel sich Stoiber als das soziale Gewissen der Union. So wetterte er gegen die rot-grünen Steuersenkungen für Großunternehmen. Deutlich kritisierte die CSU die CDU-Idee, hohe „unsoziale“ Kopfpauschalen für die Krankenversicherung einzuführen.

Von der erprobten Strategie verspricht sich Stoiber auch 2004 politischen Profit. Dabei spielt auch der ungelöste Führungstreit um die Kanzlerkandidatur 2006 zwischen Stoiber und Merkel eine Rolle. Außerdem ist das Motto „einfache und gerechte Steuern“ bestens geeignet, die rot-grüne Bundesregierung in die Defensive zu bringen.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer weiteren Steuerreform spielt bei alledem nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Argumente sind inzwischen zu Klischees geronnen. Da ist das Bierdeckel-Argument: Das Steuersystem sei heute undurchschaubar, sagt vor allem Friedrich Merz. Komme sein Plan zum Zuge, könne jeder Bundesbürger die Belastung auf einem Bierdeckel ausrechnen. Außerdem kursiert das Margaret-Thatcher-Argument: „Get the state off our back.“ – „Schafft uns den Staat vom Hals.“

Eine Gegenposition vertreten unter anderem die Globalisierungskritiker von Attac. Mit einer Steuerquote von 22,9 Prozent liege Deutschland im Durchschnitt der Industrieländer schon heute ziemlich günstig. „Wer sich jetzt als großer Steuersenker feiern lässt, verschweigt die Konsequenzen“, so Attac-Aktivist Sven Giegold. Er verweist auf eine einfache Wahrheit: Der Staat finanziert Forschung, Straßen, Schulen und Universitäten aus seinem Steueraufkommen. Geringere Einnahmen bedeuten geringere Ausgaben – eine Wirkungskette, die in Zeiten, in denen das deutsche Bildungsystem als äußerst renovierungsbedürftig angesehen wird, nicht nur Attac für kontraproduktiv hält.