Lustig durch die Mitte

Linke Projekte protestieren gemeinsam gegen drohende Vertreibung. 1.500 Menschen bei Demonstration zum Potsdamer Platz. Wagenburgler besetzen Gelände in Treptow

„Nanu, gibt es Karnevalsumzüge jetzt auch in Berlin?“ Eine Touristin blickte etwas erstaunt auf den bunten, fröhlichen Zug, der sich am Samstag auf der Straße Unter den Linden bewegte. Rund 1.500 Menschen und etwa zehn teilweise geschmückte Wagen hatten sich vom Oranienplatz in Kreuzberg zum Potsdamer Platz aufgemacht. Doch sie wollten nicht etwa Kamelle nach Berlin bringen, sondern hatten ein eminent politisches Anliegen.

„Keine Ruhe für die Mitte“, hieß der Aufruf zahlreicher Berliner Projekte und Initiativen. Der Slogan war durchaus doppeldeutig gemeint. Schließlich war der Begriff „neue Mitte“ ein Wahlslogan der rot-grünen Bundesregierung. Auf die Berliner Stadtpolitik bezogen wird mit dem Begriff die Umwandlung ganzer Stadtteile in Dienstleistungszentren verbunden. Ein Paradebeispiel dafür ist der Potsdamer Platz. In einigen Jahren könnte es auch an der Spreecity zwischen Jannowitzbrücke und Ostkreuz ähnlich aussehen. Zurzeit ist dort eine Großbaustelle.

Zahlreiche linke und alternative Projekte aus der Umgebung sehen sich in ihrer Existenz gefährdet und haben sich zum Projekte- und Initiativenrat (Pirat) zusammengeschlossen. Dazu gehört die Wagenburg Schwarzer Kanal, die jahrelang an der Schillingbrücke ihr Domizil hatte. Zwar hat sie vor einigen Monaten ein Ersatzgrundstück in unmittelbarer Nähe bezogen, ihre Zukunft ist aber unklar. Denn die neuen Nachbarn fürchten eine Wertminderung ihrer Grundstücke und wollen die Burg auf juristischem Weg vertreiben.

Auch das Hausprojekt Köpenicker Straße 137, das am Wochenende den 13. Jahrestag seiner Besetzung feierte, blickt in eine ungewisse Zukunft. Mehrere Versteigerungsversuche sind zwar bisher gescheitert, weil schlicht kein Investor den Ärger mit den BewohnerInnen eingehen wollte. Doch mit der finanziellen Aufwertung der Gegend könnte sich das ändern.

Die im Pirat vereinten Projekte wollen auch nach der Demonstration zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. „Egal ob Häuser oder Wagenburgen geräumt werden sollen oder soziale Zentren aus Geldmangel schließen müssen, wir lassen uns nicht mehr spalten“, sagt eine Pirat-Sprecherin. Der Ernstfall könnte bald kommen. Das im Pirat vertretene Hausprojekt Rigaer Straße 94 ist akut räumungsbedroht. Zur Vorbeugung weiterer Räumungen, wie es ein Sprecher ausdrückte, besetzten am Sonntag Wagenburgbewohner mit acht Wagen ein Gelände an der Kiefholzstraße in Treptow. PETER NOWAK