Eine Rückkehr und zwei coole Säcke

Bei ihren Hallenmeisterschaften in Leipzig will sich die deutsche Leichtathletik „on“ darstellen. Dies gelingt allerdings lediglich in einer Imagebroschüre. Die sportlichen Leistungen hingegen bleiben bis auf wenige Ausnahmen blass und unspektakulär

aus Leipzig FRANK KETTERER

Die Erkenntnis des Wochenendes aus der Leipziger Arena ist schnell zusammengefasst, und in etwa lautet sie so: Leichtathletik ist total cool! Das hat man zwar schon vorher gewusst oder doch zumindest geahnt, seit Samstag aber kann man es auch noch nachlesen, schwarz auf weiß. War aber auch eine prima Idee von den maßgeblichen Herren des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV), endlich mal eine Umfrage, selbstredend repräsentativ, in Auftrag zu geben. Und natürlich können DLV-Präsi Clemens Prokop und seine Getreuen nicht einen Fatz dafür, wenn da am Ende auch noch rauskommt, was rauskommen soll: dass die Leichtathletik vom deutschen Sportpublikum als hoch interessant eingestuft wird, zum Beispiel. Dass sie hoch aktuell und zeitlos ist und damit „on“, wie man das im DLV neuerdings total cool formuliert. Dass nur Fußball und Formel 1 in der Gunst der Fernsehglotzer vor ihr liegen, dafür aber Schwimmen, Radsport, Tennis und Boxen dahinter. Und dass Weitspringerin Heike Drechsler beliebter ist als Jan Ullrich oder Sven Hannawald. Also: Wenn das nicht total cool ist …

Irgendwie uncool nur, dass man all die tollen Umfrageerkenntnisse am Wochenende zwar in der nagelneuen Werbebroschüre des DLV („Erlebniswelt Leichtathletik“) nachlesen, sie aber im fast ebenso neuen Leipziger Leichtathletik-Tempel kaum nachvollziehen konnte. Dort traf sich zwar die nationale Elite, um ihre Besten zu ermitteln, sonderlich „on“ aber war der Event deswegen kaum. Was damit zu tun gehabt haben könnte, dass nicht nur Sven Hannawald nicht mit von der Partie war, sondern eben auch die weitaus beliebtere Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler. Da unter anderem auch 400-m-Europameister Ingo Schultz sowie der Tubinger Läufer Dieter Baumann die Meisterschaften gemieden hatten, fehlte doch der ein oder andere Hingucker, was sich nicht eben positiv auf den Kribbelfaktor der Veranstaltung auswirkte – all zu viel hat die deutsche Leichtathletik davon derzeit ohnehin nicht zu bieten.

Da war es gut, dass wenigstens Tim Lobinger nach Sachsen gekommen war, um über den langen Samstagnachmittag hinwegzuretten. Der fliegende Mann aus Köln weiß einfach, wie man das Publikum angemessen unterhält, auch wenn es ihm diesmal wegen einer Erkältung sichtlich schwerer fiel als gewöhnlich. Für Gesprächsstoff sorgte der 30-jährige Profi-Stabhochspringer dennoch, neben wie auf der Sprunganlage. Daneben, weil er via Klatschblatt Bunte erst kürzlich die Trennung von Ehefrau Petra bekannt gegeben und in Leipzig auch gleich seine neue Flamme, passenderweise eine Journalistin vom Lokalfernsehen, mit im Gepäck hatte. Darauf, weil Lobinger trotz Schüttelfrost am Tag zuvor die 5,80 m übersprang und sich damit ziemlich souverän den Titel sicherte vor Michael Stolle (5,75 m) und Richard Spiegelburg (5,70 m). Was prompt die Frage aufkommen ließ, was der von der neuen Liebe Beflügelte eigentlich in Normalverfassung hätte springen können. Die Antwort blieb Lobinger am Samstag schuldig, nachreichen könnte er sie immerhin bei der Hallen-WM Mitte März in Birmingham, wo der Kölner, wohl zusammen mit dem Kollegen Stolle, aus deutscher Sicht zu den heißesten Medaillenkandidaten zu zählen ist.

Nicht mit von der Partie sein wird dann Falk Balzer, viel anders war das auch nicht zu erwarten. Für einen der wenigen Höhepunkte in Leipzig sorgte der Hürdensprinter aus Chemnitz dennoch, selbst wenn er nicht den Titel (der ging nach 7,69 Sekunden an Mike Fenner) gewann. Schließlich waren die Meisterschaften Balzers erster Wettkampf nach zweijähriger Dopingsperre (siehe taz vom Freitag), da durfte man schon gespannt darauf sein, was der deutsche Rekordhalter würde anbieten können über die 60 mit Hürden versperrten Meter. 7,91 Sekunden waren es im von drei Fehlstarts gestörten Finale. Das stellte zwar eine eher mäßige Leistung dar, schien Balzer, dem schon vor der Dopingsperre der Ruf des Radaubruders anhaftete, aber nicht weiter zu stören. Zum einen war er bereits im Zwischenlauf mit 7,77 Sekunden schneller gewesen, zum anderen sei es nach zwei Jahren Pause ohnehin nicht sein Ziel gewesen, um Sieg oder auch nur auf eine bestimmte Zeit hin zu laufen. „Das Hauptaugenmerk war heute, die Kopfsache zu lösen“, sagte Balzer später und meinte damit, jene Unsicherheit zu vertreiben, die immer kommt, wenn einer so lange Zeit nicht bei Wettkämpfen starten kann, gerade in einer technisch anspruchsvollen Disziplin wie dem Hürdensprint. Ziemlich vorsichtig ist Balzer die Sache deshalb angegangen. „Ich wollte einfach schön und sauber rennen – und keinen Krawalllauf machen“, formulierte er danach. Auf der Bahn ist das dem 29-Jährigen fürs Erste gelungen, nun muss er es nur noch dauerhaft hinbekommen – und nicht nur, wenn es über Hürden geht.

Ein bisschen Krawall hat es am Samstag in der Leipzig-Arena dann doch noch gegeben. Dass das Publikum ausgerechnet in Verzückung geriet, als die schweren Jungs die eisernen Kugeln durch die Luft katapultierten, sagt doch einiges über Wert und Stimmung dieser Meisterschaften; normalerweise kommen Kugelstoßer nur am Rande vor. Dass es diesmal anders war, lag maßgeblich an Peter (19,96 m) und René Sack (19,22 m), den Lokalmatadoren. Die mussten sich zwar dem EM-Dritten Ralf Bartels (20,07 m) geschlagen geben, sehenswert war der massige Auftritt der „Säcke“, als die die Brüder bisweilen firmieren, dennoch. Oder anders gesagt: richtig on – und total cool.