berliner szenen Solitäre im Schwarzsauer

Einsam sein, aber zackig

Das Schwarzsauer war gut gefüllt. Eine Runde einsamer Männer umlagerte die Bar. Curtis Mayfield hielt ihnen ein Ständchen, sang von harten Zeiten und klagte, wo denn die Liebe sei. Doch von den Solitären achtete keiner auf die Musik. Sie waren mit sich selbst beschäftigt, jeder ein Meister darin – die Übung war ihnen anzusehen.

Der Mann, der auf dem Barhocker neben dem Durchgang zum Klo rotierte, sah nicht schlecht aus in seinem Anzug. Immer wieder veränderte er seine Position und taxierte dann jeden, der in sein Blickfeld geriet. Wie er dabei den Kopf kurz nach vorne schnellen ließ, erinnerte an eine Muräne. Sein Grinsen ebenfalls. Es veränderte sich nicht, wohin er auch blickte. War er auf Beute aus? Suchte er die rätselhafte Frau im Halbdunkel, die so aussehen wollte, als ob sie mit allem durch wäre? Doch die gab es hier nicht.

Die wenigen Frauen waren in kleinen Gruppen eingeschlossen. Manche lachten – zu laut für einen anderen einsamen Anzugträger an der Bar. Ein kurzes Zucken unterbrach seine Performance: Die Koordination knapper Gesten. Wie er die Tageszeitung aufschlug, wie er – ohne aufzusehen – nach dem Getränk griff und wie er mit einem Wink das nächste bestellte, schien ihm alles abzufordern. Zumindest auf Lesen konnte er sich nicht mehr konzentrieren. Die seit Minuten aufgeschlagene Seite enthielt neben Werbung nur zwei schmale Spalten. Sein Gesicht wirkte jung, unverbraucht. Am Hinterkopf gingen ihm die Haare aus.

Nachdem der Grinser gegangen war, nahmen zwei Neuankömmlinge seinen Platz ein. Die Atmosphäre schien sie zu verunsichern. Der eine brauchte endlos, um seinen Mantel abzulegen, der andere errötete, weil ihn der Barmann ignorierte. Hoffnungslose Fälle. ROBERT PITTERLE