Ein ganz eigenes Sendungsbewusstsein

„Radioriff“ holt täglich Berlins freie Kunstszene ans Mikrofon. Das Radioprojekt sendet sogar auf einer UKW-Frequenz. Dass das Ganze manchmal nach Kneipengespräch klingt, verleiht ihm nur Charme – ebenso wie gelegentliche Funklöcher

VON TORBEN TRUPKE

Wer den Raum betritt, wundert sich erst mal. Wie ein Radiosender sieht das hier nicht aus. Eher wie ein Heizungskeller. Oder eine Abstellkammer. In zwei Ecken stehen kleine Tische, darauf thronen Rechner. Auf Stühlen oder dem Fußboden sitzen junge Männer und Frauen. Sie reden, trinken Bier oder bereiten sich auf ihren Auftritt vor.

Willkommen in der Zentrale von Radioriff in Berlin-Mitte. Der freie Hörfunksender strahlt auf der UKW-Frequenz 104,1 bis Samstag täglich von zwölf Uhr mittags bis drei Uhr nachts ein Programm der etwas anderen Art aus. Hier kommt die Berliner Künstlerszene zu Wort, die von den etablierten Sendern ignoriert wird. Das meinen jedenfalls die Leute von Radioriff. Sie fordern von den Landesregierungen Berlin und Brandenburg eine feste Frequenz, um ihre Vorstellungen von Radio verwirklichen zu können.

Seit dem 19. Dezember sendet das Radioprojekt jeden Abend von einem anderen Veranstaltungszentrum aus. Eigentlich wollten die Radiomacher Sonntagabend in der Auguststraße 10 sein, einem ehemals besetzten Haus, in dem inzwischen ganz legal 15 Künstler wohnen. Kule nennt sich die Gruppe dort, für KUnst und LEben. Im Erdgeschoss gibt es einen Raum, der für Theatervorführungen und andere kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. Da wollten sie das siebenstündige Programm produzieren – vor Publikum. Ging aber nicht – wegen technischer Probleme. Sagt Johannes Wilms, ein Veteran des Projektes. Mittels einer ISDN-Leitung kommt nämlich der Ton in die spartanische Zentrale und von da aus wird er in den Äther geschickt. Das mit der Leitung hat aus der Auguststraße nicht so ganz geklappt. Und wenn das Radio nicht zu Kule kommt, muss Kule eben zum Radio kommen.

Die Künstler haben sich einiges ausgedacht für den heutigen Abend, denn das ist ja der Sinn der Aktion „Radioriff auf Reisen“: Jeder Club soll die Möglichkeit haben, sich zu präsentieren. Während aus der Anlage in der Ecke die aktuelle Sendung dröhnt, sitzt Elektra, die natürlich anders heißt, auf dem Boden, das Notebook auf dem Schoß. Sie kontrolliert den Pegel.

„Euch ist schon klar, dass das Gema-relevant ist, wenn ihr das Interview mit Musik unterlegt, oder?“, fragt Johannes gerade ins Studio hinein. „So könnt ihr das später nicht weiterverwenden“, versucht er den Kule-Leuten zu erklären, die im Nebenraum funken. Eine von ihnen ist Beatrice Zeier. Sie wohnt seit über sechs Jahren in kollektiven Wohnformen und hat den Hörern von Radioriff heute Abend erzählt, wie so was funktioniert und welche Probleme es dabei gibt. Das vom Club „Ausland“ organisierte Hörfunkprojekt findet sie gut, auch wenn sie anfangs skeptisch war. „Ich dachte, das sollte sowas Hippes werden.“ Von den Radioriff-Organisatoren fühlt sie sich etwas überrumpelt, denn: „Wir haben erst kurz vor Weihnachten erfahren, dass wir mitmachen sollen.“ Wie viele der Teilnehmer hat sie von der technischen Seite kaum Ahnung.

„Die wenigsten können selbst eine Sendung fahren, wir müssen permanent neue Leute anlernen“, meint Johannes. Der Religionswissenschaftler, der schon als Student beim Deutschlandradio in der Sendevorbereitung jobbte, ist das technische Rückgrat des freien Radios. Wenn er von der Idee des Projektes und seinen Möglichkeiten erzählt, lächelt er und seine Augen leuchten. „Wenn ich nicht daran glauben würde, dass es mit der Frequenz klappt, wäre ich nicht hier“, antwortet er auf die Frage, ob er an den Erfolg der Initiative glaubt. Mit dem offenen Kanal will er nicht verglichen werden. „Das ist was völlig anderes.“ Dort trete jeder für sich alleine auf. Radioriff hingegen ist für ihn ein einziges großes Experiment mit unbekanntem Ausgang. „Hier testen Leute Sachen aus, da passieren auch Fehler, aber daraus kann man ja lernen.“

Improvisiert wirkt das alles in der Tat. Funklöcher gibt es öfter mal, teilweise wirken die Sendungen, als hätte jemand einfach bei einer Kneipenunterhaltung ein Mikro dazugestellt. Ist aber nicht schlimm, denn das macht schließlich den Charme dieser Form des Radios aus. Rockmusik stößt auf Elektropop, HipHop auf Techno – hier ist alles möglich. Wie es in Zukunft weitergeht, ist auch schon geplant. Anfang Februar soll – technisch verbessert – Reboot.FM auf Sendung gehen. Ein Riff müssen die freien Funker vorher aber noch umschiffen: Die Landesmedienanstalt hat das letzte Wort.