24 Millionen Verdächtige

Die neuen Einreisebedingungen für Visa-Touristen sorgen in den USA für wenig Aufregung, dafür die Behörde dahinter: das Heimatschutzministerium

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Seit Montag gelten in den USA verschärfte Einreisekontrollen, die rund um den Globus Unverständnis auslösen. Von Reisenden, die mit einem Visum amerikanischen Boden betreten, werden an 115 Flughäfen und 14 wichtigen Seehäfen fortan Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Die Informationen werden dann mit Datenbanken verglichen, in denen Hinweise auf kriminelle oder terroristische Hintergründe gespeichert sind. Die Kontrolle wird bei der Ausreise wiederholt.

Jährlich sollen durch das Programm US-Visit (U.S. Visitor and Immigrant Status Indicator Technology) schätzungsweise 24 Millionen Ausländer überprüft werden. Ausgenommen von den neuen Regeln sind Besucher aus 28 Ländern, die für einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen kein Visum benötigen, wie zum Beispiel alle Touristen aus EU-Staaten. Ende 2005 sollen auch die wichtigsten Grenzübergänge auf dem Landweg für die neue Datenerhebung umgerüstet sein.

Während es aus den betroffenen Nationen Beschwerden hagelt und man den USA Diskriminierung vorwirft, reagieren Amerikaner auffallend zurückhaltend. Zwar fragen US-Bürgerrechtsvereine kritisch, was mit all den gespeicherten Daten geschieht, und gibt sich die Tourismusindustrie besorgt, das neue Programm könnte Ausländer von Reisen abschrecken. Doch insgesamt beschäftigt das Thema kaum die Gemüter, anders als die seit nunmehr über zwei Wochen andauernde zweithöchste Terrorwarnstufe „Code Orange“.

Die neuen Kontrollen haben nichts mit den jüngsten Terrorwarnungen zu tun, sondern sind seit langem vom Heimatschutzministerium geplant. Sie sollen ein in den USA und im Ausland höchst umstrittenes Programm ersetzen, dass nach den Terroranschlägen vom 11. September eingeführt wurde. Dieses verpflichtete Einreisende aus 25 überwiegend muslimischen Ländern, sich registrieren zu lassen, wobei sie neben abgegebenen Fingerabdrücken oftmals verhörähnliche Interviews über sich ergehen lassen mussten.

„Die Leute müssen verstehen, dass eine Erhöhung der Sicherheit notwendig ist“, sagte eine Sprecherin des Heimatschutzministeriums zu Beginn der neuen biometrischen Datenerfassung. Reise- und Einwanderungskontrolle sowie Grenzüberwachung fallen in den Zuständigkeitsbereich des neuen Superministeriums. Durch die permanenten Fernsehauftritte ihres Chefs Tom Ridge während der vergangenen Tage, in denen er vor vagen Bedrohungen warnte und gleichzeitig appellierte, sich vom Terror nicht verängstigen zu lassen, ist die vielen Amerikanern undurchsichtige Behörde wieder stärker ins öffentliche Bewusstein gerückt.

Seit dem spektakulären Beschluss zur Einrichtung des neuen Ministeriums im Herbst 2002 – es war die größte Umstrukturierung des US-Regierungswesens seit dem Aufbau des Pentagons vor dem Zweiten Weltkrieg – ist Präsident George W. Bushs wichtigster Baustein seiner „Nationalen Strategie für den Heimatschutz“ immer noch eine unfertige Baustelle. Die Mammutbehörde mit später einmal rund 170.000 Beamten soll dann die unterschiedlichsten Zuständigkeiten bei der Terrorbekämpfung bündeln und rund 22 verschiedene Regierungsstellen fusionieren. Ihr obliegen in Zukunft der Grenz- und Katastrophenschutz, die Transportsicherheit und die Abwehr von Terrorangriffen mit ABC-Waffen.

Kompetenzgerangel, mangelnde Transparenz und der zähe Aufbau der Abteilungen bringen das „Department for Homeland Security“ gelegentlich in die Schlagzeilen. Obwohl es die oppositionellen Demokraten waren, die ursprünglich die Idee für das neue Ministerium hatten, kritisiert zum Beispiel Präsidentschaftskandidat Howard Dean heute, dass Wasserkopf-Bürokratie nicht mehr Sicherheit schaffen würde, und stellt Sinn und Zweck des Ministeriums grundsätzlich in Frage. Dennoch ist die Fundamentalkritik aus den Reihen der Politiker weitgehend verebbt. Anfangs blickten selbst Konservative mit großem Unbehagen auf die neuen Regierungsvollmachten. Ironischerweise brachten ausgerechnet die Republikaner – gewöhnlich Gegner aufgeblasener Regierungsstrukturen – die monströse Behörde auf den Weg. Unter Experten ist sie nach wie vor umstritten. Kritiker sehen in ihr aufgrund der bislang unbekannten Dimension zentraler Datenerfassung einen weiteren Schritt zum Orwell’schen Überwachungsstaat.