gesundheitsreform
: Lieber nicht mehr Fahrrad fahren

Im Gesundheitsministerium mag es noch ein paar sozialdemokratische Bedenkenträger geben. Ansonsten gilt offenbar: Künftig werden zentrale Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Die Bürger sollen selber zahlen. Egal ob Kuren, Zahnersatz oder Freizeitunfälle – privat versichern ist angesagt. Unter Hinweis auf das verbreitete „Sozialschmarotzertum“ tollkühner Bungeespringer oder Snowboarder hofft man etwa auf verbreiterten Zuspruch zu einer privaten Unfallversicherung.

Kommentar von HARRY KUNZ

Nur: Die meisten Freizeitunfälle passieren nicht im Abenteuerurlaub, sondern beim Heimwerken oder Fahrradfahren. Zudem würden die neuen Versicherungskosten erfahrungsgemäß besonders Familien mit mehreren Kindern treffen – und damit die familienfreundlichen Reformen der rot-grünen Bundesregierung zunichte machen.

Daneben setzt man – zu Recht – die „versicherungsfremden“ Leistungen wie Mutterschutz, Mutter-Kind-Kuren oder Soziotherapien für Drogenkranke auf die Streichliste. Warum hat man diese Lasten allein den gesetzlich Krankenversicherten aufgebürdet? Eine steuerfinanzierte Lösung wäre eine faire Alternative und führte zu einer einmaligen Entlastung der Kassen.

Doch: Bloß mit Mühe ließen sich hier jene Einnahmeverluste kompensieren, die den Kassen jährlich allein durch neue Gesetze oder die Rentenreform der rot-grünen Ära seit 1999 entstanden sind. Eine Strukturreform sieht anders aus. Und die Ausgabendynamik im Gesundheitswesen aufgrund medizinischer Verbesserungen und der demografischen Alterung bliebe gänzlich unberührt.

Offen bleibt, wer künftig zahlen soll. Mutterschutz oder Soziotherapien für Drogenkranke sind nicht freiwillig privat versicherungsfähig. Und angesichts der Staatsverschuldung und sinkender Steuereinnahmen kann doch niemand ernsthaft damit rechnen, Gesundheitsleistungen würden künftig von Hans Eichel finanziert.

Mit einem Schlag aber wären wichtige sozialpolitische Verbesserungen von Rot-Grün beseitigt: etwa beim Mutterschutz, den die Regierung erst vor kurzem bei Frühgeburten ausgeweitet hat; in der Versorgung Drogenkranker, bei Soziotherapien und bei Eltern-Kind-Kuren – von Rot-Grün initiiert oder als Kassenregelleistungen definiert.

Bleibt es bei den angekündigten „sozialdemokratischen“ Vorschlägen, ist die Chance für eine sozial gerechte Gesundheitsreform vertan.