Ein Beschluss macht noch keinen Streik

Die Beendigung des Besetzungsstreiks an der HU spiegelt die Stimmung an TU und FU wider. Im Vorfeld der eigenen Vollversammlungen am Mittwoch herrscht bei den Aktiven optimistische Ratlosigkeit. Kunsthochschulen streiken weiter

VON ANNA LEHMANN

Er findet die Humboldt-Studierenden merkwürdig. Enrico Schönberg sitzt im Streikbüro der Technischen Universität und kneift die Augen zusammen. Das Büro atmet die Luft der Menschen, die hier wochenlang geschlafen, gegessen und geplant haben. Jetzt ist es leer bis auf Enrico und ein Pärchen, das sich auf dem Zwischenboden, wo Isomatten ausgerollt sind, leise unterhält. Hier sei immer noch viel los, beschwichtigt er, die Leute kämen und gingen.

Verschiedene Gruppen tagten gerade im Hauptgebäude der TU, als die Vollversammlung der Humboldt-Uni am Montag gegen die Verlängerung des Streiks stimmte. Per Handy waren die TUler sofort informiert. „Wir waren erst mal geschockt“, gibt der Informatikstudent zu. Dann mildert er ab: „Na, sagen wir verwundert über die HU und ihre Ideale.“ Aber man toleriere die Entscheidung und sehe im Übrigen keinen weiteren Redebedarf. Es gelte, sich auf die eigene Vollversammlung zu konzentrieren und keine Panik zu schüren.

„Es geht weiter. Dass es nach Weihnachten so langsam …“ – er stockt. Nein, die Stimmung unter den Aktiven sei gut, setzt er neu an, es gebe genügend Aktionen, bloß nicht genug Futter für die Presse. In diesem Moment kommt ein Reporter in den Raum, begleitet von zwei Studenten. „Ist doch was los“, freut sich Enrico. Für das Nahziel Vollversammlung will er keine Prognose abgeben. „Wie es an der Basis aussieht, kann ich nicht sagen, ich bin ja meistens hier.“

Die Besetzer haben das TU-Hauptgebäude wieder freigegeben und beanspruchen nur noch einen Raum als Begegnungscafé. Im restlichen Haus läuft der alltägliche Studienbetrieb. Vorlesungen finden statt, Studenten stehen Kaffee trinkend im Foyer. „Alles wieder normal“, befinden Christian und Kasper, die sich gemächlichen Schrittes zu ihren Seminaren begeben. Für den Streikinfostand interessieren sich lediglich zwei Journalistinnen. Matthias Hoffmann, der die Abstimmung der heutigen Sitzung leitet, befürchtet ein wackliges Ergebnis. Ein Antrag liege bis jetzt vor: den Streik unbefristet zu verlängern.

Auch an der Freien Universität gibt es diesen Antrag und sonst keinen. Die Vollversammlung wird Geschichtsstudent Ralf Hoffrogge leiten. Er ist pikiert über die Entscheidung an der HU: „Das ist dem Ernst der Lage doch völlig unangemessen. Jetzt heißt es im Gegenteil noch radikaler zu werden. Die Politiker sind hart geblieben, da dürfen wir nicht einknicken.“ Den Studenten müsse die Illusion genommen werden, dass alles vorbei sei. Allein durch öffentliche Auftritte sei noch nichts verändert worden. Für das Thema Studienkonten sei noch keine Entscheidung gefallen, da müsse noch einmal ein Ruck durch die Studentenbewegung gehen. Wie dieser Ruck aussehen soll, lässt er offen, aber die heutige Vollversammlung könnte solch ein Signal setzen. Doch als Asta-Erfahrener geht Ralf vorsichtig mit Beschlüssen studentischer Gremien um. „Selbst wenn es heißt, der Streik geht weiter, bedeutet das nicht, dass es genügend Leute gibt, die den Beschluss in Aktionen umsetzen.“ Insofern sei durchaus das Gegenteil denkbar: der Streik setzt per Beschluss aus, doch die Proteste bleiben.

Im OSI, dem FU-Institut für Politikwissenschaft, ist man schon im letzten Jahr auf dieses Szenario umgeschwenkt. In ihrer vorweihnachtlichen Versammlung haben die OSI-Studenten die Besetzung des Instituts aufgelöst und einen rotierenden Protesttag beschlossen. Damit könnte Ralf zufrieden sein. „Wichtig ist, dass mittelfristig die politische Kultur an der Universität belebt worden ist“, zieht er eine versteckte Post-Streik-Bilanz. Unübersehbar sind längst auch in Dahlem die zu den Vorlesungen trottenden Studenten geworden.

„Schade“ findet das Jens Fischerscher, der gerade im ersten Semester Psychologie steckt. Aber es sei schwierig, den Streik zu verlängern, wenn die anderen Unis nicht mitzögen. Ihm schwebt ein Kompromiss vor: „Wir beschließen zwei Wochen normale Uni und dann streiken wir noch mal eine Woche lang – aber richtig.“ Die Studenten der drei Kunsthochschulen haben sich durch das Beispiel HU nicht entmutigen lassen. Sie stimmten gestern für die Verlängerung des Streiks bis Ende Januar.