19 Stufen Treppenwitz

Auf St. Pauli sollte eine halb fertige Treppe wieder abgerissen werden, weil weder Umwelt- noch Schulbehörde die spätere Reinigung bezahlen wollte. Jetzt gab die Schulbehörde nach

„Wir können die Treppe bauen, haben aber kein Interesse, die Haftung zu übernehmen“

von ELKE SPANNER

Ist ein Glas halb leer, ist es gleichzeitig auch halb voll. Ebenso könnte man von einem Bauwerk, das zur Hälfte steht, lästerlich behaupten, dass ja noch eine ganze Hälfte fehlt, während andere vielleicht loben würden, dass es schon zur Hälfte fertig sei. Hinsichtlich einer halbfertigen Treppe in St. Pauli jedenfalls hatten sich die Behörden schon fast entschieden, die eher defätistische Sichtweise zu wählen und eine bereits vorhandene Treppenhälfte wieder abzubauen, statt die noch fehlende obendrauf zu setzen.

Denn wenn man die Treppe fertig stellt, muss sie hinterher auch noch instand gehalten werden und jemand muss dafür haften, und dazu waren weder Schulbehörde noch Umweltbehörde bereit. Erst nach längerem Streit, nach Drohungen und bockigem „dann halt nicht“ lenkte die Schulbehörde gestern doch noch ein. „Hilft ja nichts“, sagt dazu Sprecher Hendrik Lange. Es wäre ja nicht einmal eine Lösung gewesen, nur die 19 Stufen stehen zu lassen, die schon zementiert worden sind. Wer Durst hat, würde sich vielleicht auch mit einem halben Glas Wasser zufrieden geben können, wer aber einen mehrere Meter hohen Elbhang bezwingen muss, der braucht einfach den vollständigen Satz Stufen dafür.

Die Kinder beispielsweise, die auf die Schule in der Friedrichstraße gehen. Für sie nämlich ist die Treppe vor allem gedacht. Während ihre Schule oberhalb des Elbhanges steht, wurde ihre neue Turnhalle eine Etage tiefer an der Hafenstraße gebaut. Und damit die SchülerInnen den Sportunterricht nicht mit dem Abseilen vom Hang beginnen müssen, hat man direkt neben dem Halleneingang die Treppe geplant. Und auch schon mit den Bauarbeiten begonnen.

Das Werk war seiner Vollendung bereits um 19 Stufen näher gekommen, da gerieten die beteiligten Behörden in erbitterten Streit. Man stelle sich einen klassischen Hamburger Wintertag vor, der Morgen dämmert, die Sonne zieht langsam hinter den Dockanlagen von Blohm und Voss herauf, Schüler torkeln noch schlaftrunken in Richtung ihrer Treppe – und die ist von Schnee bedeckt. Und wie drohendes Unheil schwelte die Frage über den zuständigen SachbearbeiterInnen, wer sich dafür dann verantwortlich fühlen soll.

Wer soll zur Schneeschippe oder zumindest zum Telefonhörer greifen, um den Hausmeister herbeizuordern? Und wer die Kosten tragen, wenn die Treppe eines Tages der Reinigung bedarf? Die Schulbehörde fand, die Umweltbehörde müsse ran, und die wiederum sagte nö. Sei ja schließlich eine Schulturnhalle und damit ein Finanzierungsfall der Behörde für Bildung und Sport. Die sieht das eigentlich nicht ein – Lange: „Wir können die Treppe ja bauen, haben aber kein Interesse daran, die Haftung zu übernehmen“ – stimmte nun aber schließlich doch noch zu.

Die Behörden hatten auch nicht mit der Bereitschaft der St. PaulianerInnen gerechnet, durch Eigeninitiative an der Verbesserung ihres Stadtteils mitzuwirken. Dass die Treppe überhaupt gebaut werden soll, ist Teil der Gesamtplanung für „Park Fiktion“, einer Grünanlage, die auf dem Dach der Turnhalle entsteht und als Kunstwerk auf der documenta in Kassel präsentiert worden ist. Und die PlanerInnen des Parks waren keineswegs bereit, sich von ein paar streitlustigen und geizigen SachbearbeiterInnen ihr Kunstwerk verschandeln zu lassen.

Deshalb hat der „Hafenrandverein“ die erste Jahresrate für die Reinigung der Treppe an die Behörden geschickt. Einen 100 Euro-Schein – eine Hälfte für die Schulbehörde, die andere für deren Kollegen im Umweltamt. Damit die sich dann zusammensetzen, zusammenraufen und zusammenkleben, was zusammengehört.

Denn Geldscheine wirft man ja nicht einfach in den Müll. Ebenso wenig wie Treppen, eigentlich.