Handy oder Goldkette?

Was man einem reichen Russen, der alles hat, zum orthodoxen Weihnachtsfest schenken kann

VON BARBARA KERNECK

Zwölf Jahre lang habe ich in Moskau gelebt und bin ihnen immer aus dem Wege gegangen – den Neuen Russen, den Großgewinnern der getürkten Privatisierungsauktionen Anfang der 90er-Jahre. Ich hasste ihre mit dröhnenden Nebelhörnern bestückten Jeeps, die meinen verbeulten Volkswagen rücksichtslos beiseite drängten. Aber kaum war ich wieder nach Berlin gezogen, suchten sie mich buchstäblich heim. Im Sommer 2001 stand der zwanzigjährige Moskauer Wassja auf meiner Schwelle. Geschickt vom Berliner Goethe-Institut, bei dem ich mich um einen Deutsch-Stipendiaten als Untermieter beworben hatte.

Wassja tat dem Klischee genüge, als er sich unverzüglich ein Handy besorgte und in seinem Zimmer stundenlang hineinplapperte. Ansonsten erwies er sich als sehr sensibel. Erklärungen, wie eine Waschmaschine zu benutzen sei, nahm er dankbar auf. So ein Gerät hatte er noch nie selbst bedienen müssen. Viel Deutsch gelernt hat er in jenen beiden Monaten nicht. Jedes Wochenende traf er sich mit anderen Neuen RussInnen, auch wenn er dafür nach Hamburg oder München jetten musste. Seit dieser Zeit holt mich Wassja bei jedem Moskaubesuch vom Flughafen ab. Jedes Mal mit einem anderen Schlitten. Und wenn mein Besuch wieder einmal in den Januar fällt, möchte ich ihm etwas zum orthodoxen Weihnachtsfest schenken. Doch was schenkt man einem Menschen, der schon alles hat?

Dieses Jahr hat mir das Schicksal bei einem Spaziergang durch Moskau einen Weg aus dem Dilemma gewiesen: Ein Geschäftchen namens „Welt der Neuen Russen“. Das Rezept, nach dem der Laden auf kaum 10 Quadratmetern funktioniert: Der schlechte Geschmack der Neuen Russen ist Programm, ihre Neigung zu Prunk und Protzerei. Wie in den Nachbarläden gibt es auch hier Figürchen aus blauweißer Keramik und dunkel grundierten Lackdosen mit feuriger Malerei. Doch die Keramikfigürchen stellen Neue Russen dar, mit all ihren Attributen: Handys, Bodyguards und Goldkettchen. Bei ihren Lieblingstätigkeiten wie Telefonieren und sich von einem Diener auf der Saunabank durchwalken lassen. Auf die Lackdosen kann man sich ab 100 Euro ein Konterfei der eigenen Lieblingskarosse mit Nummernschild pinseln lassen.

Hier nimmt sich der Neue Russe also selbst auf die Schippe und nährt gleichzeitig den eigenen Stolz. Besonders gut gehen Fußballtrikots des Londoner Vereins Chelsea. Um den Klub gab es einen Skandal, als er vom russischen Erdöltycoon Roman Abramowitsch eingekauft wurde. „Da sind nur noch die kleinen Größen übrig“, erklärt mir die Verkäuferin. Ganz dem Geschmack der Kundschaft entsprechend, ist sie hauchdünn mit langen, goldblonden Haaren.

Neben den anspielungsreichen Geschenken gibt es auch Bierernstes. Für jene, die noch beweisen müssen, wie viel Geld sie haben. Da steht ein Boccia-Spiel aus feinem, schwarz-rot-gold bemaltem Holz. Die Kugeln sind viel zu leicht. „Sind ja nicht zum Spielen da“, sagt das Mädchen: „Die stellt man sich ins Zimmer, weil so was kaum jemand je gesehen hat.“

Weil ich nicht über 10 Euro ausgeben kann, fällt mein Blick auf die Comic-Ausgaben von Tolstois „Anna Karenina“ und Puschkins „Pique Dame“. Sie liegen am Tresen für Leute bereit, denen die Geduld für die dicken Romane im Original fehlt. Aber Wassja macht jetzt eine Lektorenausbildung in einem großen Verlag. Also lieber etwas aus der Vitrine. Alles, was hier liegt, verweist auf den ewig populären Schelmenroman aus den 20er-Jahren: „Die zwölf Stühle“. Auch als Musical feiert diese Geschichte in der russischen Hauptstadt neuerdings Triumphe. Die Handlung spielt zur Zeit der „Neuen Ökonomischen Politik“, jener kleinen Atempause im Sozialismus, als die Bolschewiki kapitalistischen Handel und Wandel in bescheidenem Maße vorübergehend zuließen. Und niemand im Buch verpasst die Gelegenheit, sich auf unehrliche Weise zu bereichern.

So prangt es in der Vitrine: Das von einer Figur des Romans zwecks Wechsel der eigenen Identität benutzte Haarfärbemittel „Titan“. In historischer Verpackung. Daneben ein Chrom-Leder-Kugelschreiber, auf den mit Hand das Lieblingsmotto des Helden und Hochstaplers Ostap Bender eingraviert ist: „Ich hab mir alle Schachzüge im Voraus notiert!“ Dazu päckchenweise Visitenkarten mit Berufsbeschreibungen verschiedener Romancharaktere (einen individuellen Namen nebst Telefonnummer kann man dazudrucken lassen). Da steht zum Beispiel: „Sachbearbeiter bei der Einberufungsbehörde und Kinderfreund – mit weitreichenden Armen“. Oder: „Hauptarbeitsleiter – wir kaufen alte Sachen, neue klauen wir.“ Für Wassja erwerbe ich ein Zwölferset für umgerechnet 6 Euro mit der Aufschrift: „Akrobat der Feder und Phrasenvirtuose – unser Kontor lässt für sie schreiben.“ Wassja wird’s verstehen, denn auch er lacht gern über sich selbst. Näheres über Lädchen und Sortiment im E-Shop: www.newrussian.net.