Überflieger und Abstürze

Der Norweger Sigurd Pettersen holt sich mit dem dritten Triumph bei der Vierschanzentournee überlegen den Gesamtsieg, viele seiner Vorgänger haben jedoch den Anschluss zur Spitze verpasst

AUS BISCHOFSHOFENKATHRIN ZEILMANN

Der Japaner Kazuyoshi Funaki spricht leidlich gut Englisch. Doch sein Wortschatz reicht nicht aus, um seine derzeitige Formkrise zu erklären. Selbst in seiner Muttersprache tut er sich schwer, darzulegen, warum er, der zweimalige Olympiasieger und Vierschanzentourneesieger der Saison 1997/98, in diesem Winter bei der Tournee noch kein einziges Mal das Finale erreicht hat, auch gestern nicht, beim Abschlussspringen der Vierschanzentournee in Bischofshofen.

Dieses gewann erneut Sigurd Pettersen, sein dritter Triumph insgesamt. Damit holte sich der Norweger souverän den Gesamtsieg vor dem Österreicher Martin Höllwarth und dem Slowenen Peter Zonta. Georg Späth wurde Sechster der Tourneewertung, Michael Uhrmann Siebter, Sven Hannawald kam auf den 12., Martin Schmitt auf den 16. Rang. Damit gehört auch der Schwarzwälder zu den Größen von einst, die den Anschluss zur absoluten Weltspitze verloren haben. Wenn auch nicht ganz so wie Funaki, der die Schultern zuckt, hinauf zur Schanze schaut und sagt: „Meine Art zu fliegen, wissen Sie, das klappt einfach nicht mehr.“

Funakis Flugstil: Das V der Skier extrem, der Körper so zwischen die Bretter gelegt, wie es lange Zeit kein anderer schaffte. In dieser Position flog er in den Jahren 1997 und 1998 allen anderen davon, er wurde kopiert, aber nie erreicht. Doch der Zauber ist verflogen, aus Funaki, dem Wunderflieger, ist ein durchschnittlicher Athlet geworden. In Japan heißt es, er habe die Motivation verloren. Wahr ist: Funaki führt ein Eigenleben, das Team interessiert ihn nicht groß, die meiste Zeit des Jahres lebt er in Slowenien und trainiert eigenständig ohne Bindung zur Mannschaft.

Der Japaner gehört zu den Verlierern dieser Vierschanzentournee. Wer schleichend in den hinteren Regionen der Ranglisten verschwindet und eigentlich kaum mehr Interesse weckt, rückt bei der Tournee plötzlich wieder aufs Tablett: Lange Übertragungen im TV zwingen die Kommentatoren, auch auf die Abgestürzten einzugehen, ansonsten tut sich ja im Sportgeschehen zu dieser Jahreszeit nicht viel. Da fällt es dann schließlich doch auf, wenn ein Funaki hinterherfliegt.

Oder ein Andreas Widhölzl. Der hatte die Tournee 1999/2000 gewonnen. Und getreu seinem Motto „entweder sehr gut oder sehr schlecht“ springt Widhölzl zur Zeit ziemlich grausig: 26. in Oberstdorf, 30. in Garmisch-Partenkirchen, 24. in Innsbruck, gestern dann als 18. sein bestes Ergebnis. „Ich habe im Sommer nicht dafür trainiert, jetzt am Ende des Feldes zu landen“, erklärt er. Doch wie nach vorne fliegen? „Ich habe in der Spur kein gutes Gefühl, meine Hocke ist nicht optimal“, kennt Widhölzl zumindest seine Fehler.

Es sind die kleinen Schritte, die auch Simon Ammann aus der Schweiz zur Zeit vorwärts kommen lassen. Er war Doppelolympiasieger in Salt Lake City 2002, ließ noch einen Sieg beim Weltcup am Osloer Holmenkollen folgen. Doch seitdem verblasst sein Stern am Skisprung-Himmel, die Resultate wurden immer mittelmäßiger. Bernie Schödler, der Schweizer Cheftrainer, betreibt Ursachenforschung. Doch den einen, ausschlaggebenden Grund für das Leistungstief Ammanns hat auch er nicht gefunden. „Es sind Probleme im Detail“, sagt Schödler.

Das ehrgeizige Ziel, das Ammann sich zu Beginn der Tournee gesetzt hatte („Ich will aufs Podest“) konnte er nicht erreichen. „Aber wir machen kleine Schritte“, sagt Schödler. Immerhin. Zumal die Schweizer Öffentlichkeit akzeptieren würde, dass es nicht in Siebenmeilenstiefeln zurück zum Erfolg gehen kann. Ammann wurde 14. in der Gesamtwertung.

Was bleibt sonst an Erkenntnissen von dieser Tournee? Auch Adam Malysz, als Favorit gehandelt, ist nur noch Mittelmaß und landete zwischen Ammann und Schmitt auf Rang 15. Er wird von einer Armada polnischer Journalisten begleitet, die immer lauter nach Malysz’ erstem Saisonsieg rufen. Doch er schaut nur ratlos, wenn er gefragt wird. Der Druck auf seinen schmalen Schultern wird immer größer. Als bei der Vierschanzentournee die Siegerehrungen stattfanden, hatte Malysz seine Skier schon längst geschultert und war davongelaufen. Sein Blick dabei war ziemlich traurig.

Ammann, Funaki, Widhölzl, auch Vierfachweltmeister Martin Schmitt – die Leistungsschwankungen im Skispringen scheinen extremer zu sein als in vielen anderen Sportarten. Der deutsche Cheftrainer Wolfgang Steiert beschreibt das so: „Skispringen ist mehr als nur auf den Absprungturm hochgehen und wieder runterspringen. Die psychische Belastung ist enorm. Wenn nur Nuancen nicht stimmen, gerät das ganze Gefüge auseinander. Und man darf die öffentliche Aufmerksamkeit nicht vergessen: Die ganze Schweiz schaut auf Ammann, ganz Polen auf Malysz. Das kann man nicht so leicht von sich schieben.“

Funaki kann sich über zu viel öffentliche Aufmerksamkeit nicht beschweren. Viel weniger japanische Journalisten als sonst begleiteten den TourneeTross. Seine viel zu kurzen Sprünge fanden bei den heimischen Medien kaum Beachtung.