Ein Goldesel für den Chef

Tennis in Japan, Fußball in Israel, Traber in Karlshorst. Im Wettbüro Goldesel kann man auf viele Sportler setzen – und auf singende Superstars. Die Kunden wetten, obwohl sie kein Geld haben

„Ich habe Glück in der Liebe, ich brauch’s gar nicht erst versuchen“

von ANNE HAEMING

Wo laufen sie denn? Eva hat nicht aufgepasst. Der Grün-Rote rechts außen flankt seine Gerte ein paarmal auf den Braunen. Eva, 69, Rentnerin, zuckt nicht mal zusammen. Sie wartet auf Aspell, nicht auf Lord’s Best und nicht auf Mithak. Nur: Welcher ist ihre Nummer sechs, der mit der tollen Außenseiterquote von 210? Sie muss auf die Ziellinie warten, die zwölf zweifarbigen Reiter sind ununterscheidbar.

Es ist kurz nach eins, der Rauch steht schon in Schwaden im Wettbüro Goldesel an der Landsberger Allee in Friedrichshain, Zigaretten und Köpfe qualmen gewaltig. Dabei hat Bernd Hobiger erst um Punkt 13 Uhr aufgemacht, wie jeden Tag – „die Pferderennen gehen dann erst los“.

Die Kunden sind auf der Suche nach dem klimpernden Glück der Erde. Aber die Pferde laufen nur noch nebenher, sie sind nicht so populär, erzählt der Chef. Sein Hauptgeschäft sind Sportwetten. Dass er das „o“ in Goldesel zu einem Fußball gemacht hat, ist also nur konsequent.

Hobigers Quotenliste hat zwar die Schwedische Eishockey-Liga im Angebot, Frölunda gegen Färjestad, das israelisches Fußballmatch Hapoel Petah Tikva gegen Maccabi Tel Aviv und auch Damentennis in Tokio mit Sugiyama gegen Grande. Aber dass Hobiger und sein Esel mehr mit Hengsten als mit Tenniszicken zu tun haben, ist offensichtlich.

Neben dem Fußball-O gehört ein Sulky-Gespann zum Logo, über der Kasse hängt eine Hufeisen-Uhr. Und während Hobiger erzählt, dass er in der DDR bei der Trabrennbahn Karlshorst gearbeitet hat, dreht er an seinem goldenen, natürlich hufeisenförmigen Ring.

Den Passanten auf der Straße grüßt nur ein müdes Aquarell, es lehnt im Schaufenster, von Qualm oder Sonne vergilbt scheint sich der dort abgebildete Jockey zum Endspurt mal kurz aus den Steigbügeln zu beugen. Auch die echten Reiter, drinnen, auf zwei der 20 Bildschirme erheben sich vom Rücken der Pferde.

Für Eva lohnt es sich jetzt wieder, genauer hinzuschauen. Ihr Mann Gerd nippt an seinem Bier. Der monotone Silbenrhythmus des Kommentators ist keine Hilfe. Ein nasales Wortband ohne Anfang und Ende, nur den leichten englischen Akzent hört man raus. Das Ziel scheint näher zu rücken: Die Stimme wird schneller, wird zum Stakkato. Mit jedem galoppierten Meter schraubt sie sich eine Tonlage höher, die Luft wird knapp. Es siegt die Vier, Beyond Control, mit Schaum vorm Mund.

Das heißt: Kein Zuwachs für die 2 Euro und 70 Cent, die verloren im Glasaschenbecher zwischen Eva und Gerd liegen. Das Verhältnis der beiden ist nicht wie beim Fischer und seiner Frau: „Ich bin heute nicht dran“, sie zuckt mit den Achseln, ihr rotweinfarbener Glitzerpulli spannt. Aber die Zauberworte „Es war einmal“ funktionieren trotzdem. Es sei ja eigentlich das Hobby ihres Mannes, sie gehe nur zum Zeitvertreib mit.

Gerd wettet, seit er 19 ist, als die Pferde noch Etat hießen oder Solo, und nicht diese englischen Namen hatten, die sich keiner merken kann. Auf der Rennbahn in Karlshorst hat er mal 340 Mark gewonnen, aber das ist lange her. „Reich geworden ist beim Wetten noch keener.“

Mit „Bricklebrit!“ hat im Friedrichshainer Wettbüro offenbar noch niemand sein Glück versucht. Der Goldesel spuckt zwar Dukaten, aber meist nur für den Chef. Von ein paar Ausnahmen über 15.000 Euro mal abgesehen. Und mit Glück hat das alles sowieso nichts zu tun.

„Wenn ich weiß, bei dem Team fehlen zehn Mann, die treten mit der Kindermannschaft an, dann ist es nicht nur Zufall, wenn einer beim Wetten gewinnt“, erklärt Hobiger. Das Wort „Glücksspiel“ mag er nicht so. Was die verrückten Buchmacher in England anbieten, gefällt ihm trotzdem. Er würde auch gerne darauf wetten lassen, „dass Elvis und Nessie gleichzeitig auftauchen“. Aber das sei ja leider in Deutschland nicht erlaubt. Das einzige Schräge, das er seit neuestem auf seiner Quotenliste führt, sind die singenden, klingenden Superstars von RTL. Hausfrauen will der Goldesel-Manager damit anlocken. Und junge Mädels, die mit Sportwetten nichts anfangen können.

Aber die sind weit und breit nicht zu sehen. Die einzige Frau außer Eva ist eine Dame ohne Unterleib: Jane Albrecht sitzt hinter der Zahltheke. Sie nimmt die ausgefüllten Wettscheine an, jagt sie durchs Lesegerät, kassiert den Einsatz und zahlt die Gewinne aus. Was nicht so oft der Fall ist. Die Leute wetten nicht, weil sie kein Geld haben. Sie wetten, obwohl sie keins haben.

„Es macht sich schon bemerkbar, dass das Geld draußen weniger wird“, meint die 32-Jährige und steckt sich noch einen Lakritzstern in den Mund. Sie hat Migräne, ist nicht so gut drauf. Es komme schon mal vor, dass jemand wirklich alles verspielt, in der Hoffnung auf finanzielle Sanierung. „Man denkt sich dann so seinen Teil“, raunt sie über den Holztresen. „Die sind manchmal richtig verbohrt und aggressiv.“

Jane Albrecht ist schon lange in der Branche, seit sie neun ist. Ihre Mutter und die des Chefs haben zusammen in Karlshorst gearbeitet, als Kind ist sie durch die Ställe der Rennpferde getobt. Dass sie bei den Buchmachern gelandet ist, klingt so zwangsläufig wie, dass Frühling auf Winter folgt.

„Hey Süße!“, grüßt ein Mann mit Schlips. Er greift sich einen Stapel der rotweißen Scheine und das Wettmagazin Starter und zieht sich zurück. Jane frotzelt, fürs Wetten sei ihr ihr Geld zu schade. „Ich habe Glück in der Liebe, ich brauch’s gar nicht erst versuchen“, lacht sie.

David hat zwar eine Freundin, das hält ihn aber nicht davon ab, seit zwei Jahren ein paarmal pro Woche sein Schicksal herauszufordern. Vorher war er noch zu klein. 600 Euro hat er mal mit einem Kumpel abgesahnt. Heute versucht er’s mit fünf Euro und den Washington Wizards. „Wer sich mit amerikanischem Basketball ein bisschen auskennt, weiß, dass da Michael Jordan spielt“, meint er mit Kennermiene. Mit 1,60 sei die Quote für ein Heimspiel ziemlich hoch.

Die Mittagspause ist auch für Carsten und seinen Bläck-Fööss-Kumpel eine willkommene Gelegenheit für eine Wettrunde, zumal bei dem Wetter. Sie sehen zwar aus wie Lkw-Fahrer, arbeiten aber beim Straßenbau. Hier sitzen sie wenigstens im Trockenen.

Ihr Mittagessen nehmen sie heute in flüssiger Form zu sich. Vielleicht liegt es am Mangel an Alternativen. Linseneintopf mit Bockwurst für 2,50 Euro und Erbsensuppe sind im Goldesel das höchste der Gefühle. Auch ein hilflos gehauchtes „Tischlein, deck dich!“ ändert daran nichts.