Sie war keine Literaturpäpstin

Die vom ZDF gefeuerte Elke Heidenreich hat sich getraut, selbst zu denken. Das war gut für Leser, Verleger und TV

Wenn die Verlegerinnen und Verleger von Wagenbach, Eichborn, Kiepenheuer & Witsch, Frankfurter Verlagsanstalt, S. Fischer, Dumont und der Bertelsmannschen Gruppe Random House gemeinsam einen offenen Brief unterschreiben und alle Konkurrenz vergessen, dann muss etwas die ganze Branche Bewegendes vorgefallen sein.

Doch in dem Brief, der gestern veröffentlicht wurde, geht es nicht um Preisbindung oder E-Books, sondern um die Demission Elke Heidenreichs. Und das, obschon Heidenreich, anders als viele andere ihrer Kolleginnen und Kollegen, gerade nicht die Bücher empfohlen hat, auf die man sich branchenintern bereits geeinigt hat.

Ja, vieles an der Sendung „Lesen!“ war nervend, und nicht immer waren es nur die Gäste, die sich als bourgeoise Bohemiens zu inszenieren versuchten. Auch Elke Heidenreich ließ sich manchmal dazu hinreißen, die Literaturpäpstin zu geben. Es ist dies eine übliche Fernsehkrankheit, der schlaue Denis Scheck erliegt ihr auch nicht selten. Andere wie Roger Willemsen hat sie regelrecht dahingerafft. Letztlich aber hat Elke Heidenreich nie vergessen, wer sie ist und vor allem, was Fernsehen ist. Sie hat das, was sie über Bücher zu sagen weiß, für das Fernsehformat gestutzt – wie selbst Reich-Ranicki, der sich in den letzten Tagen über ihre vollmundige Unterstützung nicht recht zu freuen wusste, zugeben musste.

Elke Heidenreich und die für ihre Sendung zuständige Redakteurin Marita Hübinger haben dabei bewiesen, dass man den eigenen Kopf nicht verleugnen muss, wenn man ihn schon nicht durchsetzen kann, und haben ungewöhnliche Bücher präsentiert, die vor dem Auftauchen auf der – innerhalb der Branche vorab bekannten – Besprechungsliste noch von kaum einer anderen professionellen Literaturbetriebsnudel beachtet worden waren.

So hievte Heidenreichs Empfehlung das wunderbare Buch „Das weiße Abendkleid“ von Victoria Wolff aus dem sehr kleinen Aviva Verlag in die Bestsellerliste. Auch Andrea Maria Schenkel oder Maria Barbal wären einem breiteren Publikum ohne „Lesen!“ mit Sicherheit kein Begriff geworden, ebenso wenig die Werkausgaben von Edgar Hilsenrath oder Peter Kurzeck. Nicht immer war die Präsentation dem Gegenstand angemessen, nicht immer durften die Verlage sofort nachdrucken und nicht immer war der Kulturauftrag erfüllt.

Elke Heidenreich hat jedoch bewiesen, dass nicht immer Bestseller werden muss, was die Verlage vorab als „Spitzentitel“ deklarieren. So ist Elke Heidenreich auch bei ihrer „Brigitte“-Edition vorgegangen, wo sich zwischen gängigen Titeln Bücher von Ruth Klüger, Bora Cosic oder dem nahezu unbekannten Humoristen Hermann Harry Schmitz fanden, die in keiner vergleichbaren „Bestseller“-Edition zu finden gewesen wären.

Dass die Manager des ZDF mit Frau Heidenreich gebrochen haben, mag verständlich sein, sie hatte sie persönlich beleidigt. Dass sie sich schützend vor Thomas Gottschalk stellen, dessen einziges Verdienst es ist, den dümmlichen Herrenwitz in dieses Jahrtausend gerettet zu haben, ist es sicher nicht. Doch diese Manager dienen dem Götzen Quote. Heidenreich dagegen hat wenigstens versucht, im Fernsehen zu machen, was nach gängiger Meinung nicht Fernsehen ist. Das war eine heroische Arbeit.

JÖRG SUNDERMEIER