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An Alltagsbedingungen und ihren Objekten orientiert: Das Haus am Lützowplatz zeigt alte und neue Arbeiten des Berliner Künstlers Fritz Rahmann

Was heißt hier „mehrere Arbeiten“?, so könnte man sich mit dem vom Künstler gesetzten Titel der retrospektiven Ausstellung Fritz Rahmanns im Haus am Lützowplatz fragen. Beiläufig erscheint diese Bezeichnung. Rahmann hat immer ein vorsichtig kritisches Verhältnis zu seiner Werkproduktion gehabt, sie nie unbefragt stehen gelassen.

Aus der Rückschau ergibt sich ihm umso mehr das Problem, wie das Verhältnis von Werkprozess und Materialisierung plausibel ist – und: Was davon übrig bleibt und retrospektiv gezeigt werden kann. Ein Konzeptkünstler, der die Theorie an die Stelle des Werkes oder „Stückes“ setzt, wie er zuweilen sagt, ist Fritz Rahmann nicht – er ist immer interessiert an konkreter Materialisation und Formkonstellation. Autonome Kunstproduktion war Rahmann von jeher zu spekulativ. Die Arbeiten der Ausstellung im Haus am Lützowplatz fügen sich keineswegs zu einer homogenen Werkentwicklung zusammen.

Rahmann resümiert im Katalog die Kategorien und auch Ansätze seiner Arbeit. Der Begriff der „Situation“ ist ihm wichtig. Im Haus Boeckstraße 7, Berlin, 1982, beispielsweise, nimmt er den Abriss von Zwischenwänden zum Anlass, sie als Formationen auf dem Boden auszulegen und das Material der Ziegel zugleich durch eine sorgfältige Reinigung zu recyceln. Konstruktiv formale Aspekte, soziale Umstände und ökonomische Überlegungen laufen in diesen Variationen des Kontextes zusammen – und eventuell vieles mehr: nämlich theoretische Diskurse, die dazu dienen, Ideologie abzuwenden. In der Berliner Kunstgeschichte ist Rahmann vor allem präsent durch die Künstlergruppe BÜRO BERLIN. Unter diesem Namen stellte er in den Achtzigerjahren mit Raimund Kummer und Hermann Pitz Arbeiten im öffentlichen Raum aus. Dabei ging es immer auch um die Einbindung in die realen Bedingungen des Zusammenhanges und Ortes. Doch die Wege von Rahmann, Kummer und Pitz trennten sich später wieder.

Eine den Betrachter vielleicht durchaus verstörende Apotheose erfährt Rahmanns Arbeit mit dem Werkkomplex, den er in den letzten Jahren entwickelt hat. So trifft man auf das raumgreifende Leuchtkasten-Objekt „Tobias und der Engel“. Überraschenderweise hat Rahmann, der immer profan, an Alltagsbedingungen und ihren Objekten orientiert gearbeitet hat, hier tief in die Kiste der Kunstgeschichte gegriffen. Das Motiv aus der Tizian-Schule ist schon längst in den Halbwertbereich trivialer Wiederholungen geraten.

Wie verhält es sich hier mit Material, Form und Stück? Während von Aktionen im öffentlichen Raum nur fotografische Konstellationen übrig geblieben sind, siehe etwa die Fotoarbeit „Boeckstraße 7“, so ist das kunsthistorische Material hier zu einem Stück in einem anderen Medium geworden. Die Formen bilden sich aus einer im Grafikprogramm des Computers konstellierten Umrisszeichnung. Der Weg geht von der Vorstellung des gemalten oder in Druck übertragenen Motivs zur Zeichnung als Lichtspur. Man kann nicht umhin, dem Objekt eine sakrale Ausstrahlung zu bescheinigen. Es ist aber von der ursprünglichen Bedeutung und dem Sentiment entlastet, die sich in der Tradierung des Motivs durch die triviale Rezeption aufgestaut haben.

Inzwischen hat Rahmann die Computerzeichnung in den Bereich räumlicher Darstellung fortgeführt, mit Valeurs und Schatteneffekten, die mit den grafischen Rastern variieren. Nicht mehr nur die Umrisse sind zu sehen, wie sie von ihm auch in Skizzen vorgeführt werden, die skurrile Momentporträts von Leuten in der U-Bahn liefern, sondern es entstehen merkwürdig verfremdete Figurationen, die auf Leuchtkästen oder Papierdrucken präsentiert werden. Vielleicht ist die Wahl der Vorlage gar nicht entscheidend. Das plastische Objekt einer Tänzerin, das eher Kunsthandwerk als Kunst ist, verliert die reizenden Züge und wird zu einem rätselhaften Bild.

So sieht man sich hier mit einem „Kubismus aus dem Computer“ konfrontiert und blickt zugleich zurück auf die „32 Etüden“, Siebdrucke aus dem Jahr 1972, streng geometrische Formvarianten, die Rahmann als Übungsreihe für Schüler produziert hatte, um ihnen eine systematische Wahrnehmung von Objekten zu eröffnen. Auch die neuen Arbeiten stehen nicht außerhalb eines Zusammenhanges. Sie sind eingebunden in Gespräche und stehen latent zur Anwendung in Situationen zur Verfügung. KATJA REISSNER

Fritz Rahmann: „Mehrere Arbeiten 1970–2002“; Haus am Lützowplatz, Tiergarten; die Ausstellung läuft bis 6. April 2003, Dienstag bis Sonntag11–18 Uhr; Katalog, 64 Seiten mit Texten von Fritz Rahmann