aus der hammer-praxis von EUGEN EGNER
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Vor kurzem hätte ich noch gesagt: „In der psychologischen Praxis über meiner Wohnung werden täglich Nägel in den Holzfußboden geschlagen“, heute aber weiß ich, dass das nicht korrekt ist. In Wirklichkeit sind die Vorgänge um ein Vielfaches komplexer.

Tagein, tagaus dröhnt und donnert es von oben, als ob das Parkett aufgehackt würde. Ich stelle fest, dass ich in solcher Atmosphäre vor Inspiration absolut sicher bin. Aus dem Text für meine zweite Oper kann auf diese Weise nie und nimmer etwas werden.

Wie leicht ist mir dagegen die Arbeit am Libretto zur ersten gefallen! Kein Wunder: Ich hatte es ja auch einem kleinen Mädchen gestohlen! Von Hamburg kommend, hatte ich während einer Bahnfahrt im Großraumwagen direkt hinter dem Kind gesessen, das, um die lange Zeit auszufüllen, seiner Mutter eine spontan improvisierte Oper vortrug.

Die Musik war zwar nicht brauchbar gewesen, aber um so mehr der Text! Ich hatte jedes Wort mitstenografiert. Mit dem zu Hause abgetippten Libretto, das ein namhafter Komponist dann vertont hat, bin ich berühmt geworden. Das kleine Mädchen, vertreten durch seine Mutter, hat zwar einmal versucht, eine Plagiatsklage gegen mich anzustrengen, doch war meine rechtliche Position (dank der beteiligten Sponsoren des Projekts) ungleich günstiger.

Spätnachmittags, wenn der Lärm über mir aufhört, bin ich vor Verdruss zu betrunken, um weiterarbeiten zu können. Wenn also der letzte Patient gegangen ist, habe auch ich Feierabend. Kürzlich kam ich zu dieser Stunde auf den Gedanken, doch einmal durch den Türspalt ins Treppenhaus zu spähen, wer da wohl nach Beendigung der Hammerschlag-Therapie aus der Praxis käme. Mir stockte der Atem, denn ich erkannte sofort das kleine Mädchen, dem ich das Opernlibretto gestohlen hatte! Es war in Begleitung seiner Mutter, die ihm vorwarf: „Du hältst zu viel zurück, du musst endlich den ganzen Schmerz herauslassen!“

Am nächsten Tag steigerte sich die Aktivität über mir ganz erstaunlich. Als ich zu der bebenden Zimmerdecke aufblickte, sah ich sie von Rissen durchzogen, und erste Putzstücke fielen herunter. Im Treppenhaus stürmten mehrere Personen laut polternd die Stufen hinab. Um mich zu beschweren, lief ich zu meiner Wohnungstür und riss sie wütend auf. Es war niemand mehr zu sehen, also stieg ich zur psychologischen Praxis hinauf. Die Eingangstür stand offen, die Räume waren völlig verlassen. Meine Trunkenheit flößte mir den Mut ein, eine heimliche Inspektion durchzuführen. Ich erstarrte. Zunächst glaubte ich, es käme vom Alkohol, aber nein, am Boden lagen tatsächlich mehrere aus Holz gefertigte Puppen, die keinen anderen darstellten als mich! In alle waren zahllose Nägel geschlagen.

Diskret zog ich mich in meine Wohnung zurück. Kurz darauf hörte ich wieder Leute durchs Treppenhaus poltern, diesmal aufwärts, und das Gehämmer über mir ging weiter. Wahrscheinlich hatten sie den Vorrat an Nägeln aufgebraucht und waren in ihrer Panik zum nächsten Baumarkt gerannt.