vorlauf
: Scherze, die schmerzen

„Titus“ (Vox, 19.45 Uhr)

Um 1970 herum geschah es, dass sich die US-amerikanische Sitcom vom harmlosen Komödienspaß zur Gesellschaftssatire wandelte. Den mutigsten Schritt tat Larry Gelbart, als er den Kinofilm „M*A*S*H“ adaptierte und ein Feldlazarett mit Verwundeten und Toten zu Thema und Bühne einer Sitcom machte.

Vor allem die Darstellung der bis zum Lug idealisierten Familie hat sich über die Jahre verändert. Trefflich belegen lässt sich das am Beispiel der 2000 entstandenen Daily Sitcom „Titus“. In Episode 2 wendet sich der Titelheld wie so oft direkt ans Publikum und unterrichtet es, dass 63 Prozent aller US-Familien als „dysfunktional“ gelten. Womit Dysfunktionalität zur Norm geworden sei.

Stand-up Comedian Chris Titus verarbeitete eigene Kindheitserfahrungen zu der Bühnenshow „Norman Rockwell is Bleeding“, die zum Ursprung der Sitcom „Titus“ wurde. Wenn Chris Titus – Darsteller und Figur tragen denselben Namen – den Rabauken mimt und Konflikte mit aufgekrempelten Ärmeln zu lösen anstrebt, verraten Rückblenden die Ursachen für sein Verhalten. Denn Chris ist der Spross eines Elternpaares, das in spekulativen Nachmittags-Talkshows zum Dauergast werden könnte. Der Vater (Stacy Keach), ein notorischer Schürzenjäger, Schwerenöter und Säufer, bescherte seinem Sohn mehrere Stiefmütter. Seine leibliche Mutter nahm es mit der ehelichen Treue ihrerseits nicht so genau und ging in psychiatrischen Anstalten ein und aus. Was Wunder, dass Titus’ angeblicher Bruder Dave (Zack Ward) den einen oder anderen Hau erkennen lässt. Immerhin hat Titus mit Erin (Cynthia Watros) eine aus besseren Verhältnissen stammende Freundin gefunden. Aus dem Zusammenstoß der widersätzlichen Milieus entsteht manches Missverständnis – und ergo grandiose Komik.

„Titus“ verspritzt ätzendes Gift, wo die allgemein konsensfähigen „Simpsons“ als Zeichentrickgestalten noch eine gewisse Distanz ermöglichen, die die Karikatur erträglich werden lässt. „Titus“ dagegen tut richtig weh, war in den USA auch beim ausstrahlenden Sender heftig umstritten – und hielt sich gerade mal zwei Jahre im Programm. HARALD KELLER