bernhard pötter über Kinder
: Liebe in den Zeiten von Keuchhusten

Was passiert nachts im Elternschlafzimmer? Nichts. Früher hatten wir Sex – heute haben wir Kinder

„Was ist denn?“, brummt Anna. „Lass mein Ohr in Ruhe.“ Meine Frau liegt bereits im Vierfünftelschlaf. Ich habe mich kurz vor dem Abtauchen in die traumlose Erschöpfung an meine ehelichen Pflichten erinnert und sie zärtlich am Ohr gestreichelt. Früher nannten wir das Vorspiel. Heute hat das kein Nachspiel. Ich falle ins allnächtliche Wachkoma. Anna hat natürlich völlig Recht. Der Gedanke an Sex ist zum Lachen. Schließlich sind wir Eltern. Wir hatten mal Sex. Jetzt haben wir Kinder.

„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“? Oh doch. Schlaf. Nix Beischlaf. Wir wollen nicht mit jemandem schlafen. Wir sind froh, wenn wir allein schlafen können. Wenn sich in unserem Bett nicht der somnambule Teil der Familie zum frühmorgendlichen Gewusel trifft. Oder wir uns neben den wimmernden Fieberkindern in ihre 1,40-Meter-Betten quetschen müssen, wo sie uns, von Dämonen gepeitscht, die Augen zerkratzen oder das Knie in den Unterleib rammen.

Wir wollen einfach unsere Ruhe. Denn kaum haben wir Nachwuchs gezeugt, ereilt uns der Fluch der guten Tat. Früher schwang beim Begriff „ins Bett gehen“ alles Mögliche mit, was die Hormone zum Rauschen brachte. Heute ist „ins Bett gehen“ der strenge Befehl an den Nachwuchs, gefälligst ab 21.30 Uhr im Kinderzimmer zu bleiben. Früher hat unser Brunftgeschrei zur Paarungszeit die taube Nachbarin aus dem Schlaf gerissen. Heute erledigt das Tinas mitternächtliche Sirene. Ich habe Anna nie von der Bettkante geschubst. Heute müssen wir aufpassen, dass Jonas das nicht mit seiner kleinen Schwester macht.

Es liegt nicht am Körperlichen: Die dunklen Augenringe machen uns sogar ausgesprochen sexy, wenn man auf Gothic-geschminkte Gesichter steht. Anna ist rank und schlank wie vor den Babys. Mir können auch millionenteure Zeitungsanzeigen des Pharmakonzerns Pfizer keine Erektionsstörungen einreden. Vielleicht liegt das Problem aber doch im physischen Bereich: Meine Frau erleidet einen heftigen Schlafanfall, sobald sie sich einer Matratze auf einen Meter nähert. Und ich wache morgens erst auf, wenn ich beide Kinder im Kindergarten abgeliefert habe. Oder zumindest hoffe ich, dass es der Kindergarten war.

„Ihr müsst euer Liebesleben eben ganz genau inszenieren“, rät uns unsere kinderlose Freundin Julia. Aber brennende Kerzen sind mit zwei Pyromanen in der Familie tabu. Aromatische Aphrodisiaka scheitern am säuerlichen Hintergrundgeruch nach Spuckwindeln. Die Fachpresse rät dazu, es spontan und wild auf dem Küchenfußboden zu treiben. Aber wer will mit dem Rücken im Bananenvollkornbrei rumglitschen? „Reißen Sie sich im Fahrstuhl gegenseitig die Kleider vom Leib“, rät ein anderes seriöses Hochglanzmagazin. Wir haben nur ein Treppenhaus.

„Das ist doch irre“, sagt Anna. „Eltern definieren sich erst mal nur über den Sex, den sie mal hatten. Schließlich gibt es bisher keine Kinder nur aus Zellteilung.“ Trotzdem werden Eltern dann zu ziemlich asexuellen Wesen. Wahrscheinlich funkt das familiäre Inzesttabu dazwischen. Oder können Sie sich vorstellen, wie Ihre Eltern miteinander schlafen? Oder mit wem Ihre Kinder mal ins Bett gehen werden und wie das aussieht?

Um ehrlich zu sein: Natürlich haben auch Eltern Sex. Sogar miteinander. Und oft ist es sehr schön, weil der Leistungsdruck weg ist. Denn wir haben ja bewiesen, dass wir es können. Sogar zweimal. Und Eltern haben noch einen Vorteil. Klar, sie schlaffen bei Orgien sofort ab. Aber sie wissen, wie toll Sex nicht nur als Selbstzweck, sondern als ergebnisorientierte Maßnahme sein kann.

Einer meiner Politikprofessoren an der FU Berlin erklärte die geringe Wahlbeteiligung in den USA immer so: „Das ist wie beim Sex. Wenn man es lange genug gemacht hat, verliert es den Reiz.“ Was aber auch bedeutet: Demokratie ist nicht sexy. Und für ein anständiges Liebesleben braucht es immer mal wieder eine Diktatur.

Bei uns ist es genau umgekehrt. Die zwei Thronfolger in unserer absolutistischen Monarchie verhindern gerade durch ihre nächtlichen Keuchhustenanfälle, dass ihre Eltern zusammenkommen. Und ist Sex wenigstens ein Thema in der Familie? Aufklärung der Kinder?

Ach je. Jonas weiß aus dem Kindergarten sowieso längst, wie das alles läuft. Wo kommen die Babys her? „Na, aus dem Bauch von den Mamas.“ Und wie kommen sie da rein, wenn sie doch so groß sind? „Na, durch die Muschi.“ Ich bin nicht ganz sicher, ob ich alle Details mitbekommen habe. Aber wenn ich meinen Sohn richtig verstanden habe, dann funktioniert das irgendwie so wie bei den Buddelschiffen.

Fragen zu Kindern? kolumne@taz.de