CHINA TUT GUT DARAN, SICH IN DER IRAKFRAGE NICHT FESTZULEGEN
: Peking will kein Schurke sein

Die Hinhaltetaktik Pekings in der Irakfrage sollte Kriegsgegner nicht enttäuschen: Auch ein klares „Nein“ Chinas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen würde einen Angriff der USA auf den Irak nicht verhindern. Im Gegenteil: Eine kategorische Haltung Chinas würde das Land zur Vetomacht prädestinieren und damit den Gang Washingtons zum Weltsicherheitsrat erschweren. Gut also, dass die Volksrepublik in drei Jahrzehnten des Kalten Krieges, während deren sie ohnehin aufseiten Amerikas stand, für die USA ein verlässlicher außenpolitischer Partner geblieben ist. Denn nur vor dem Hintergrund des ideologischen Zurücksteckens Chinas als einer ehemals bedeutenden Macht unter den Blockfreien ist heute ein konstruktiver Streit zwischen den USA und Europa im Sicherheitsrat überhaupt möglich.

Ob sich China dann am Ende auf die amerikanische oder auf die europäische Seite schlägt, werden die Geschichtsbücher vermerken. Für die Weltrealpolitik aber ist von Bedeutung, ob China seine Chance in der Irak- und Nordkoreakrise nutzt und sich den USA gegenüber konstruktiv verhält – oder ob es sich in die Rolle manövriert, in der die Washingtoner Falken das Land vor dem 11. September bereits gesehen hatten: als quasi alleinige „Achse des Bösen“ Peking–Schanghai–Hongkong. Damals, vor nur 20 Monaten, sahen die amerikanischen Vordenker des Irakkrieges in China die zentrale militärische Herausforderung ihrer Amtszeit. Damals fuhren diese Herren milliardenschwere Raketenabwehrprogramme an, um der US-Vision einer in zehn oder zwanzig Jahren zum globalen Widerpart erstarkten Volksrepublik präventiv zu begegnen.

China hat Glück gehabt, nach dem 11. September aus der Schusslinie Washingtons geraten zu sein. Heute aber wäre für die Welt nichts gewonnen, wenn China wieder in das Visier der US-Regierung zurückkehrte. Im Gegenteil: Dass sich die Washingtoner Propagandaidee vom „Schurkenstaat China“ in diesen ersten Jahren der Bush-Administration nicht verbreiten konnte, mag sich noch als Segen für den Weltfrieden herausstellen. GEORG BLUME