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: Wenn Judy Garland obszön stöhnt: „Europe in Shorts“ – oder die Osnabrück-Rolle

Einer der Schwerpunkte des „European Media Arts Festival“ in Osnabrück war schon immer die avantgardistische und experimentelle Filmkunst. Da ging und geht es dann immer schön elitär zu: Kino für Eingeweihte, schwere Kost. Aber einige Filme sind auch so originell, schön oder witzig, dass man ihnen ein größeres Publikum wünschen würde. Mit Geld aus EG-Töpfen und in Zusammenarbeit mit fünf anderen deutschen Kurzfilmfestivals war es den Osnabrückern nun möglich, experimentelle Kurzfilme zu einem Programm zusammenzustellen, das in ganz Europa verliehen wird. Acht Filme aus sieben Ländern sind da zu sehen, von denen der älteste 1976 gedreht wurde und der längste 17 Minuten dauert.

Einige sind nicht viel mehr als eine brillante, auf Film gebannte Idee: Bei „Holding The Viewer“ hat der Brite Tony Hill etwa die Kamera am Ende einer Stange montiert. Ein Mann schwingt diese umher. Wie auf einer Achterbahnfahrt jagen die Bilder um diese Person herum. Wenn man sich von der Überraschung dieser völlig ungewohnten Perspektive erholt hat, ist der einminütige Film auch schon vorbei.

Ähnlich verblüffend wirkt der „Nowa Ksiazka“ von Zbigniew Rybczynski. Dort ist die Leinwand schachbrettartig in neun Bilder eingeteilt, die jeweils aus einer zehn Minuten langen ungeschnittenen Einstellung bestehen. Sie zeigen zusammen die Momentaufnahme in einer polnischen Straße: ein Mann kauft ein Buch, Passanten fahren Bus, Kinder spielen, Kunden werden in einem Café bedient. Doch weil die verschiedenen Kameras genau synchron laufen, wandern die Protagonisten ständig aus einem Bildausschnitt in den nächsten.

Langsam merkt man, wie die Räume und Aktionen miteinander zusammenhängen. Die im Grunde völlig banale Szene bekommt eine eigentümliche Spannung dadurch, dass der Zuschauer versucht, die neun Bilder in seinem Kopf zu einem großen Panorama zu verbinden.

Hinterfragen der Bilder und des Blickwinkels ist ein heimliches Leitmotiv der Kompilation. So untersuchen gleich zwei Filmkünstler in ihren Werken die Mechanismen des klassischen Hollywoodfilms, indem sie kurze Ausschnitte aus Unterhaltungsfilmen bearbeiten: Der deutsche Matthias Müller hat für „Home Stories“ Einstellungen von Filmdiven wie Kim Novak, Grace Kelly, Doris Day und Bette Davis so montiert und verfremdet, dass genau deutlich wird, mit welchen Tricks die Regisseure sie zu Opfern machen und den Voyeurismus der Zuschauer befriedigen.

Ganz ähnlich arbeitet auch der Österreicher Martin Arnold. Er bearbeitet sekundenlange Einstellungen aus drei romantischen Komödien der 30er Jahre, so dass plötzlich Mickey Rooney in ein ödipales Drama mit seiner Mutter verstrickt ist und Judy Garland obszön dazu stöhnt.

Anstrengend wird der kunterbunte Bilder- und Tonsalat nur einmal, wenn in „Routemaster“ enervierend laut und lange Rennautos über die Leinwand rasen. Aber das ist auch gut so – mindestens ein „Publikumsquäler“ ist Pflicht in einem Programm mit Experimentalfilmen. Wilfried Hippen

Freitags und samstags jeweils um 22.30 Uhr im Kino 46