Verstrickt im eigenen Netz

Ein Finanzanlageberater steht vor Gericht. Das Geld seiner Kunden wirtschaftete er in die eigene Tasche, um auf großem Fuß zu leben. 430.000 Euro Schaden

„Wie im Nebel tat ich Dinge, für die mich heute schäme“, bereut der Finanzmanager

Ein wenig erinnert es an die Immobilienfondsgeschichte der Bankgesellschaft: Als seine Geschäfte schlecht laufen und er in ernste Schwierigkeiten gerät, beginnt ein kleiner Finanzmanager am großen Rad zu drehen. Immer mehr Geld muss der Anlageberater akquirieren, um das Geschäft am Laufen zu halten, seine Schulden zu bezahlen und einen – branchentypischen – luxuriösen Lebensstil zu pflegen. Allein: der erhoffte Befreiungsschlag bleibt aus, der Manager verstrickt sich im selbst gesponnenen Netz – und steht heute vor Gericht. Das unterscheidet die kleine von der großen Geschichte.

Aber der Reihe nach. Fast zehn Jahre schon war der 32-jährige Sascha J. im Finanzanlagegeschäft tätig, als ihn im Frühjahr 2001 Schulden und Verpflichtungen plagten. Das Geschäft hatte den gelernten Hotelfachmann geprägt, der frühere Berater des Allgemeinen Wirtschaftsdienstes (AWD) war das Geldausgeben gewohnt: Vor der Tür stand ein Jaguar, teure Urlaube und Restaurantbesuche gehörten dazu. „Man rutscht da so rein, das Auto war ein Statussymbol“, gestand J., der zwischenzeitlich bis zu 32 Mitarbeiter beschäftigte. Deren Job: Versicherungen und Finanzanlageprodukte an den Mann oder die Frau zu bringen.

Ab März 2001 nahm es dann J. mit der Abrechnung nicht mehr so genau. Mehreren Kunden bot er eigenmächtig Aktien und angeblich hoch verzinste Festgeldanlagen an. Das Geld wurde auf sein Privatkonto überwiesen, J. legte es aber nicht an, sondern verbrauchte es: um seinen Lebensstil zu finanzieren und um schon aufgelaufene Schulden zurückzuzahlen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun Betrug vor – entstanden ist ein Schaden in Höhe von 430.000 Euro.

Vor Gericht zeigte sich J. gestern reuig und geständig, er entschuldigte sich bei den Geprellten. Er habe seine Kunden nicht schädigen wollen, beteuerte er. Man merkt ihm an, dass er es gewohnt sein musste, Menschen zu umgarnen. Wenn seine Geschäfte wieder besser gelaufen wären, hätte er ihnen ihr Geld, das in seinem Verständnis „geparkt“ gewesen sei, von seinen Provisionseinnahmen zurückgezahlt, sagt er. Dazu kam es nicht: Den Schlussstrich setzten Kunden, die ihr Geld auf einen Schlag wiederhaben wollten.

Selbst Schluss zu machen, dazu war der junge, dynamisch wirkende Familienvater, der für vier Kinder sorgte, nicht in der Lage: „Aufgabe ist Schwäche“, so J. Das sei wie bei einem Boxer, der nicht mehr aufstehe und den Kampf verliere. Für ihn sei die Welt als Finanzanlageberater auch wie eine Droge gewesen. „Wie im Nebel tat ich Dinge, für die ich mich heute schäme.“

Wie nah J.s Fall am Leben liegt, zeigte sich auf dem Gerichtsflur. In der Pause erzählt eine Schülerin einer Berufsschulklasse, die den Prozess beobachtete, von eigenen Erfahrungen. Eine Verwandte sei auch als selbstständige Anlageberaterin tätig gewesen; am Ende habe sie mit Schulden von 30.000 Euro dagestanden. Die Schulden seien unter anderem aufgelaufen, weil die Vermittler Provisionen von Verträgen zurückzahlen müssten, wenn die Kunden ihre Verträge kündigten. Die Frau hatte Glück – die Familie kümmert sich um die Schulden, sie studiert jetzt an der Uni.

J. sitzt in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen ihn wird fortgesetzt. RICHARD ROTHER