Šešelj auf Dienstreise

Der serbische Ultranationalist stellt sich dem UNO-Tribunal in Den Haag. Vorher lässt er sich von seinen Anhängern in Belgrad als Volksheld feiern

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Der ultranationalistische serbische „Showmaster“ Vojislav Šešelj organisierte Montagfrüh auf dem Belgrader Flughafen seine für lange Zeit letzte Show in Serbien: Begleitet von seiner Frau und vier Söhnen ließ er sich von mehreren hundert Anhängern wie ein Volksheld bejubeln. Šešelj äußerte die Überzeugung, dass er der „letzte Serbe“ sei, der es mit dem „verbrecherischen“ UNO-Tribunal für die im ehemaligen Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen zu tun haben würde. Er rief die Serben auf, alle anderen vom Tribunal angeklagten „serbischen Helden mit allen Mitteln“ zu verteidigen.

Danach flog der Führer der Serbischen Radikalen Partei (SRS) mit einem Linienflug der Jugoslawischen Fluggesellschaft JAT nach Den Haag. Dort wurde er in das Untersuchungsgefängnis in Scheveningen gebracht.

Die „Abschiedsfeier“ begann schon Sonntagabend. Rund 15.000 Menschen schlossen sich dem „Triumphmarsch“ Šešeljs in Belgrad an. „Ich begebe mich auf eine etwas längere Dienstreise“, rief der Radikalenführer. Er werde es mit dem Haager Tribunal im Namen der zehntausenden „serbischen Freiheitskämpfer“ aufnehmen, dieses „lächerliche“ Gericht „zerstören“, die USA und die Nato „vor den Augen der ganzen Welt anklagen“.

Šešelj rief „alle Patrioten“ auf, in seiner Abwesenheit das „kriminelle serbische Regime“ und die um Serbiens Premier Zoran Djindjić vesammelte „Bande“ zu bekämpfen. Mehrere Fahnen mit der Aufschrift „Serbien ist mit dir“ waren zu sehen, die Menschen schworen ihrem trotzigen Führer ewige Treue. So pompös und „trotzig“ Šešeljs Abgang auch erscheinen mag, freiwillig war er nicht. Der Radikalenführer hatte nur zwei Möglichkeiten: Entweder wie Slobodan Milošević verhaftet und ausgeliefert zu werden, oder, den Helden mimend, in den „Kampf gegen das Unrecht“ zu ziehen und die „serbischen nationalen Interessen“ zu verteidigen.

Im Gegensatz zu anderen serbischen Häftlingen in Den Haag, die weinerlich wirkten und die Öffentlichkeit mieden, hat Šešelj durch sein robustes Auftreten sicher noch politische Punkte erzielt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstoß gegen das Kriegsrecht in Kroatien, Bosnien und der Vojvodina lautet die Anklage gegen Šešelj. Er hatte Anfang der Neunzigerjahre Freischärlertruppen organisiert und sie mit Totenkopffahnen in den Kampf für das „Serbentum“ geschickt. Trotzdem, oder gerade deswegen, erhielt der Radikale 25 Prozent der Stimmen bei den gescheiterten Präsidentenwahlen Ende 2002. Die Mehrheit der Serben ist gegen die Auslieferung von serbischen Staatsbürgern an das Tribunal.

Der Demagoge hat durch seinen letzten Auftritt in Serbien der prowestlichen serbischen Regierung einen harten Brocken hinterlassen: die serbisch-bosnischen Führer Radovan Karadžić und General Ratko Mladić, die für die Zerstörung von Vukovar angeklagten Offiziere der jugoslawischen Armee, die Kommandanten der serbischen Sondereinheiten etc., festzunehmen und dem Tribunal auszuliefern. Šešelj rief sie de facto auf, sich mit Waffengewalt zu verteidigen.

Die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal ist eine der Bedingungen der EU und der USA für eine weitere finanzielle und politische Unterstützung Serbiens und Montenegros. Djindjić befürchtet, eine breit angelegte Aktion für die Verhaftung der Angeklagten könnte die Lage in Serbien „destabilisieren“. Vor allem, nachdem Šešelj mit seiner Show Applaus auf offener Bühne bekommen hat.