Geiz ist schon wieder uncool

Handel und Ernährungsindustrie wollen Kaufunlust der Verbraucher und Preisspirale nach unten durchbrechen. Sie setzen auf die Marke. Gewerkschaften: Das kommt Beschäftigten zugute. Derzeit in jedem zehnten Fleischbetrieb krasse Mängel

von BEATE WILLMS

Die großen Rabattschlachten sind vorbei. Wenn sich Einzelhändler und Vertreter der Ernährungsindustrie heute und morgen zu einem gemeinsamen Unternehmertag treffen, sind Bonussysteme, Gutscheine und kombinierte Preisnachlässe kein zentrales Thema mehr. „Rabattierungen verunsichern und machen misstrauisch“, sagt Helmut Metje, Vorstandssprecher der Allgemeinen Handelsgesellschaft der Verbraucher (AVA). „Wenn wir bis zu 70 Prozent billiger verkaufen, muss der Verbraucher doch glauben, dass wir ihn vorher beschissen haben.“ Eine langfristige Kundenbindung schaffe man so nicht.

Der Preiskampf hat nicht nur dem Handel Verluste, Pleiten und Arbeitsplatzabbau gebracht, sondern mehr noch der Lebensmittelindustrie. Ihr nötigt die Einkaufsmacht der Handelsketten und Discounter seit Jahren immer mehr Zugeständnisse ab. Jetzt scheint die Schmerzgrenze erreicht – auch für die Gewerkschaften.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die deutsche Ernährungsindustrie ein Umsatzminus von einem Prozent. Und wäre nicht der Export gewesen, wäre es noch höher ausgefallen. Jeder 33. der rund 5.800 Betrieben hat zugemacht, jeder 30. der knapp 530.000 Arbeitsplätze ging verloren. Allein im Backgewerbe, das rund 153.000 Menschen beschäftigt, wurden 6,5 Prozent der Jobs abgebaut. Und in der Fleischverarbeitung mit seinen 104.000 Lohnabhängigen waren es 5,2 Prozent. Leicht zugelegt haben nur die kleinen Bereiche wie Süßwaren und Tabak.

Auf den ersten Blick schuld an der Krise sind die Discounter. Aldi und Co. haben ihren Marktanteil, der 1991 noch bei 23,4 Prozent lag, im vergangenen Krisenjahr von 33,6 auf 37,8 Prozent gesteigert. Experten glauben, dass er bis 2005 locker auch 50 Prozent erreichen kann. Den Trend zum Discount kann AVA-Chef Metje verstehen: Der von Teuro-Kampagnen, Rabattaktionen, Ladenschließungen und eigenen wirtschaftlichen Problemen verunsicherte Verbraucher schätze „Orientierung und Verlässlichkeit“. Und genau die versprächen die Discounter: übersichtliche 800 bis 1.000 Produkte, die den Basisbedarf abdecken, und eindeutige Preise. Um mitzuhalten, haben sich viele Händler auf eine ruinöse Abwärtsspirale eingelassen. „Mit der Fixierung auf den Preis als Hauptverkaufsargument haben sie aufgehört, die Qualitäten ihrer Waren zu kommunizieren“, sagt Klaus Brandmeyer vom Genfer Institut für Markentechnik.

Aufbrechen wollen Handel und Hersteller das Problem nun über eine „Rückbesinnung auf die Marke“. Für das Frühjahr plant der Markenverband, der nach eigenen Angaben 95 der 100 führenden deutschen Dach- und Einzelmarken vertritt und mehr als 300 Mitglieder hat, eine Kampagne: Sie soll die Marke gegen Handelsmarken abgrenzen, wie sie die Discounter anbieten. Weil die großen Hersteller einen überwiegenden Anteil ihres Umsatzes mit ihren Nummer-eins- und Nummer-zwei-Marken machen und viele kleine sogar komplett auf Einzelmarken setzen müssen, pflegten sie diese – mit Marktforschung, Innovationen, Qualitätssicherung und mehr Service. Das ist kostenintensiv und verteuert die Produkte. Der Vorsitzende des Markenverbandes, Johan Lindenberg: „Billig geht nur mit parasitärer Kopierstrategie und niedrigsten Personalkosten.“

Der Vorstoß von Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) für ein Gesetz gegen Preisdumping, das vor allem die Discounter betreffen würde, stößt bei den großen Konzernen trotzdem nicht auf Begeisterung. Kein Wunder: Bis auf Aldi und Lidl gehören die Discounter zu Handelskonzernen – Penny beispielsweise zu Rewe, Plus zu Tengelmann – und tragen einen großenTeil zum Jahresergebnis bei. Und zumindest die größeren Hersteller liefern ihre Zweit- und Drittmarken ebenfalls an den Discount. Die Aldi-Milchprodukte etwa werden woanders unter den Namen Müller, Bauer, Zott, Alpenhain oder Onken verkauft. Bis vor kurzem hatte Kraft Foods eine eigene Fabrik nur für Aldi.

Der Preiskampf habe dazu geführt, dass Verbraucher gar nicht mehr wüssten, „wie hoch der Preis der Ware eigentlich ist“, beklagt auch Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Das derzeitige Niveau etwa in der Fleischverarbeitung sei nur durch schlechteste Arbeitsbedingungen zu halten. Eine Untersuchung von Zoll und Arbeitsbehörde habe im letzten Jahr in jedem zehnten Betrieb krasse Verstöße gegen Gesundheit, Arbeitsschutz und Arbeitsrecht ergeben. Das gefährde nicht nur die Beschäftigten, die zudem um ihre Arbeitsplätze bangen müssten, sondern auch die Qualität der Waren. Wie auch Handel und Hersteller fordert er „mehr Nachhaltigkeit“, allerdings nicht nur unter ökonomischen Aspekten. Und sie müsse für den Verbraucher erkennbar sein – etwa an einem Gütesiegel, das neben ökologischen auch soziale Standards berücksichtige.