Durchs wilde Kurdistan

Die EU ist ein Wanderzirkus. Mal gastiert sie in Athen, mal in Dublin. Außenpolitische Kontinuität kann so nicht entstehen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Selten werden die widersprüchlichen Erwartungen der Mitgliedsstaaten an die Europäische Union so offenbar wie im Bereich Außenpolitik. Europa soll mit einer Stimme sprechen, um endlich auf internationaler Ebene Gehör zu finden – das wünscht sich laut Meinungsumfragen die Mehrheit der Bevölkerung. Auch die überwältigende Mehrheit der Konventsmitglieder sieht darin eine der wichtigsten Aufgaben der EU-Reform. Gleichzeitig wacht jedes Land auf diesem Gebiet besonders eifersüchtig darüber, dass sein nationales Profil nicht im Gleichklang untergeht.

Die spannende Frage ist, ob die nun angestrebte Reform daran etwas ändern kann und wie mehr Harmonie nach außen gegebenenfalls zu erreichen wäre. Angesichts des Irakdebakels hat der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europaparlament, der Engländer Graham Watson, resigniert behauptet, das Gezerre in der Außenpolitik werde durch neue Institutionen und Strukturen nicht aufhören.

Um diese These zu widerlegen, genügt ein Blick auf die bisherigen EU-Strukturen. Zur Erinnerung: Der Vorsitz in der Union wechselt alle sechs Monate. Alle Ratsbeschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Nach außen wird die EU von einem Altherrenklub vertreten, der meist „Troika“ heißt, dessen Mitgliederzahl und Personal sich aber ständig ändern. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Vergangenen Dienstag zum Beispiel traf sich die Troika als Quintett: der amtierende Ratspräsident Costas Simitis, sein Nachfolger ab 1. Juli, Silvio Berlusconi, der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, der für Außenpolitik zuständige Kommissar Chris Patten und – im eigentlichen Sinne zuständig für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – ihr Hoher Repräsentant Javier Solana.

Seinen Posten hatten die Staats- und Regierungschefs 1999 unter deutscher Präsidentschaft geschaffen, um Europa ein Gesicht und den anderen Mitspielern auf der Weltbühne einen Ansprechpartner zu geben. Spätestens seit der Irakkrise fragt man sich allerdings, wo der lächelnde Strippenzieher abgeblieben ist. Der Mann, dessen Begabung darin besteht, Streithähne miteinander ins Gespräch zu bringen, scheint angesichts des Zwists innerhalb der EU mit seinem Latein am Ende. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf sein Lieblingsprojekt, die erste Friedensmission unter EU-Regie in Mazedonien.

Das ehemalige Jugoslawien hat den oberen Platz auf der weltpolitischen Agenda für Afghanistan, Irak und Nahost räumen müssen. Bei den Außenministertreffen der EU dagegen ist die Lage auf dem Balkan weiterhin ein fester Bestandteil der Tagesordnung – auch wenn es derzeit wenig Neues zu berichten gibt. Das liegt nicht nur an Solana. Es hat auch mit der geopolitischen Interessenlage der amtierenden griechischen Ratspräsidentschaft zu tun.

Man mag es als Vorteil betrachten, dass alle sechs Monate ein anderer Zipfel der Weltkarte ins öffentliche Bewusstsein der Europäer rückt. Ist Spanien mit dem Ratsvorsitz an der Reihe, dann erhält der EU-Dialog mit den Mittelmeeranrainern, der Meda-Prozess, neuen Schub. Unter französischer Regie stehen die Konfliktherde in Afrika plötzlich oben auf der Tagesordnung.

Für die anderen Spieler auf der Weltbühne wird es dadurch allerdings so gut wie unmöglich, eine langfristige Linie in der europäischen Außenpolitik zu erkennen. Noch nachteiliger wirkt sich aus, dass wechselnde Präsidentschaften unterschiedliche politische Rücksichten nehmen müssen. Das ganz besondere Verhältnis Griechenlands zur Türkei prägt die EU-Außenpolitik der kommenden sechs Monate – unter italienischem Vorsitz wird sich der Blickwinkel dann wieder vollständig ändern.

Daher ist klar, dass jedes zusätzliche Element von Kontinuität, das eine weitere Vertragsreform schaffen könnte, der europäischen Außenpolitik mehr Gewicht verleihen wird. Ein auf fünf Jahre gewählter Ratspräsident mag den kleinen Ländern und den Euroskeptikern ein Dorn im Auge sein – den außenpolitischen Schlingerkurs würde er sicher begradigen.

Ein europäischer Außenminister, der für mehrere Jahre im Amt ist, den Rat für Außenbeziehungen koordiniert und gleichzeitig in der Kommission angesiedelt ist, mag bei den machtbewussten Regierungschefs auf Ablehnung stoßen, weil er nicht an ihrer kurzen Leine bliebe. Das Irakdesaster hätte er aber wahrscheinlich verhindert, weil bei ihm alle Informationsfäden zusammenlaufen würden. Eine Briefdiplomatie mit wechselnden Unterschriften, wie sie derzeit Mode zu werden scheint, wäre hinter seinem Rücken kaum vorstellbar.

Wenn der Konvent einem derart starken Mann – oder vielleicht sogar einer Frau? – die Außenvertretung der EU übertragen will, muss er Nägel mit Köpfen machen. Es hat wenig Sinn, dass innerhalb der Kommission mehrere gesonderte Generaldirektionen für die Außenbeziehungen und für die Entwicklungshilfe bestehen bleiben, während sich der neue Außenminister mit einer Miniabteilung im Ministerrat begnügen muss. Auch der Auswärtige Dienst müsste auf eine neue Grundlage gestellt werden. Jeweils eine EU-Botschaft sollte in den Hauptstädten der Welt an die Stelle von fünfzehn einzelstaatlichen Vertretungen treten. Das wäre wirkungsvoller – und billiger.

Der logische Schritt, der dann als Nächstes folgen müsste, kann nicht mehr innerhalb der EU geleistet werden. Die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, Frankreich und Großbritannien, müssten ihre Plätze räumen – zugunsten eines gemeinsamen Sitzes der Europäischen Union. Angesichts des derzeitigen Klimas zwischen Paris und London klingt ein solcher Vorschlag wie Science-Fiction. Sollten die USA jedoch mit ihren destabilisierenden Projekten im Nahen Osten fortfahren, schaut Tony Blair vielleicht mal wieder auf die Landkarte. Und wird sehen, dass London nur 270 Kilometer weiter von Bagdad entfernt liegt als Paris. Nach Washington dagegen sind es 6.000 Kilometer mehr.