Die Polizei wirft der Justiz Versagen vor

Ein Bericht über einen jungen Serienstraftäter sorgt für Aufregung. Justizsenatorin lässt den Vorgang prüfen

Der Beitrag in der SFB-„Abendschau“ war deftig aufgemacht: Berlin, hieß es in der Sendung vom Montagabend, habe einen Fall „Mehmet“: Ein inzwischen 20-jähriger Libanese habe seit seinem 10. Lebensjahr bereits 80 Straftaten begangen, in der Mehrzahl Körperverletzung, Raub und Drogendelikte. „60 Verfahren“, so die „Abendschau“, „wurden eingestellt oder endeten mit Bewährungsstrafen, die weitere Delikte möglich machten.“ Die Ermittler des Landeskriminalamtes würden schwere Vorwürfe gegen die Justiz erheben. Auch Polizeipräsident Dieter Glietsch habe sich eingeschaltet und in einem Schreiben an Innensenator Ehrhart Körting (SPD) auf Gespräche mit Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) gedrängt. Der Fall sei ein Bespiel für die „wenig erfolgreichen Sanktionierungsmaßnahmen durch die Justiz“ und verdeutliche „grundlegende strukturelle Mängel“, zitierte die „Abendschau“ aus dem Glietsch-Schreiben.

Justizsenatorin Schubert ließ gestern von ihrer Pressesprecherin mitteilen, eine Überprüfung des Vorgangs sei in Angriff genommen, brauche aufgrund der Komplexität der Sache aber etwas Zeit. Am kommenden Montag werde auf hoher Ebene eine Arbeitsbesprechung stattfinden, an der neben den Staatssekretären für Justiz und Inneres auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnehmen werde.

Von der Polizeipressestelle war keine Stellungnahme zu erhalten. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminialbeamter (BDK), Lutz Hansen, bestätigte gegenüber der taz indes, dass der „Abenschau“-Bericht durch einen Artikel in der Fachzeitung Kriminalistik ausgelöst worden war. In dem zehnseitigen Text unter der Überschrift „Konsequente Inkonsequenz“ hat sich ein Inspektionsleiter für Organsierte Kriminalität im Herbst vergangenen Jahres seinen ganzen Frust mit den Gerichten im Fall des 20-jährigen Libanesen vom Leib geschrieben. „Die zahlreichen Verfahrenseinstellungen, insbesondere während der Bewährungszeit, müssen wohl als Indiz für einen resignativen Umgang (gemeint ist die Justiz, d. Red.) mit der Arbeitsüberlastung gesehen werden.“ BDK-Chef Hansen schätzt, dass es eine zweistellige Zahl Jugendlicher von ähnlichem Kaliber gebe. Wenn die Justiz lediglich den Zeigefinger erhebe, würden solche Jugendlichen dies als Aufforderung zum Weitermachen verstehen. Knast sei aber auch kein Allheilmittel, warnten gestern kritische Stimmen aus Ermittlerkreisen: „Je länger ein Jugendlicher in Haft ist, umso höher ist die Rückfallquote.“ PLUTONIA PLARRE