Kompromiss rückt in greifbare Nähe

Bei den heutigen Tarifverhandlungnen im öffentlichen Dienst geht es erstmals zur Sache. Senat und Gewerkschaften haben aber schon im Vorfeld Kompromissbereitschaft angedeutet. Die Formel lautet: Weniger Arbeit für weniger Geld

von RICHARD ROTHER

Beim Tarifkampf im öffentlichen Dienst wird es ab heute ernst: Hatten noch beim letzten Mal die Vertreter des Senats ihre Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt, so sind diesmal die Gewerkschaften gefragt. Sie haben bereits angekündigt, heute ihre konkreten Vorschläge zu präsentieren. Wenn diese auch noch nicht im Detail klar sind, so ist doch die Richtung eindeutig: Es geht um einen Kompromiss, der nach dem Motto „Weniger Geld für weniger Arbeit“ funktioniert. Von Streik und Arbeitskampf redet im Moment jedenfalls niemand mehr.

In der seit mehr als einem Jahr andauernden Diskussion ist damit eine Kompromisslösung zum ersten Mal in greifbare Nähe gerückt. Die Ursache dafür: Die Gewerkschaften, wiederholt als Bremser und Betonköpfe verschrien, haben sich dem Grundsatz nach auf die Linie eingelassen, die der Senat schon bei den Verhandlungen zum so genannten Solidarpakt vorgegeben hatte: Verzicht auf Lohnsteigerungen bei einer gleichzeitigen Reduzierung von Arbeitszeit.

Zwar haben die Gewerkschaften eine solche Nullrunde, die den Berliner öffentlichen Dienst zunächst von der bundesweiten Entwicklung abkoppelt, stets kategorisch abgelehnt. Am Ende trauten sie sich aber offenbar nicht mehr zu, die Übernahme des bundesweit geltenden Tarifvertrags in Berlin durchzusetzen – trotz Unterstützung von der Bundesorganisation. Zu gering war die Streikbereitschaft der Basis; zu groß das Risiko, angesichts eines riesigen Schuldenbergs der Hauptstadt einen Ausstand gegen eine gewerkschaftskritische öffentliche Meinung durchzuziehen.

Als Zugeständnis hatte Ver.di-Sekretär Burkhardt Thiemann am Wochenende vom Senat Arbeitszeitverkürzungen gefordert und zudem verlangt, die Arbeitsbedingungen in Ost und West auf Westniveau anzugleichen. Unter der Voraussetzung einer einheitlichen Tarifzone West sei es möglich, auf die im bundesweiten Tarifabschluss ausgehandelten 4,4 Prozent Tariferhöhung für 27 Monate zu verzichten. Durch individuelle Arbeitszeitverkürzungen sollte der fehlende Einkommenszuwachs kompensiert werden. Die Dienstleistungsgewerkschaft räumte allerdings ein, dass die vorgezogene Ost-West-Angleichung Berlin rund 300 Millionen Euro pro Jahr kosten würde.

Der Senat begrüßte die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften, wollte bislang aber von einer Aufgabe seiner Sparziele nichts wissen. Die Landesregierung halte daran fest, die Personalausgaben um jährlich 500 Millionen Euro zu senken, so ein Senatssprecher. Sowohl im Haushalt 2003 als auch in der mittelfristigen Finanzplanung weicht Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) jedenfalls nicht von den bisher vorgesehenen Einsparsummen ab. Und auch die Gewerkschaften selbst räumen ein, mit ihren Vorschlägen die Einsparziele von Rot-Rot zu verfehlen. Trotz Kompromissbereitschaft ist also noch für genügend Zündstoff gesorgt – und über die Details wird ab heute gefeilscht.