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Verdeckte Ermittler auf dem Olymp der Presse

Die französische Zeitung „Le Monde“ galt bisher als unangreifbare Institution. Jetzt haben zwei Journalisten in einem Buch „die versteckte Seite“ des Blattes aufgeschlagen. In Paris sorgen die Enthüllungen für einen erheblichen Wirbel

PARIS taz ■ Le Monde muss frau einfach gelesen haben, wenn sie abends in Paris Bekannte trifft und mitreden will. Denn die Zeitung, die am frühen Nachmittag erscheint, setzt in Frankreich die Themen und verteilt die Noten – für die Politik, für die Kultur und auch für die Wirtschaft. 58 Jahre nach ihrer Gründung ist Le Monde, mit einer täglichen Auflage von 500.000 Exemplaren, mehr als das ultimative Karriereziel fast aller französischen Journalisten: Es ist eine Institution.

Jetzt geraten die Moralwächter selbst in den Verdacht unsauberer Machenschaften. Ein heute erscheinendes 600 Seiten dickes Buch mit dem Titel „Die versteckte Seite von Le Monde“ – Untertitel: „Von der Gegenmacht zum Machtmissbrauch“ – klagt an. Im Visier sind drei Männer, die 1994 die Führung übernommen, Le Monde in eine Aktiengesellschaft verwandelt und die Macht im Unternehmen untereinander aufgeteilt haben: der christdemokratische Generaldirektor Jean-Marie Colombani, der Chefredakteur und langjährige Trotzkist Edwy Plenel und der rechtsliberale Soziologe Alain Minc. Einige der schweren Vorwürfe: nicht deklarierter Kampagnenjournalismus. Vorverurteilungen. Einseitige Recherchen. Unterdrückung der internen Meinungsvielfalt. Wirtschaftliche Spekulation mit der Machtposition der Zeitung. Und persönliche Bereicherung in der Chefetage.

Die beiden Buchautoren Pierre Péan und Philippe Cohen sind als Le-Monde-Leser groß geworden und haben seit Mitte der 90er-Jahre das Gefühl, dass man ihnen ihre Zeitung „gestohlen“ hat, wie sie selber erklären. In ihrem Buch stecken zwei Jahre Arbeit, bei der sie vielfach wie Undercover-Agenten vorgingen. Nachdem das Magazin L‘Express vergangene Woche mehrere Kapitel vorab veröffentlichte, wurde die Startauflage bereits von 20.000 auf 60.000 Exemplare erhöht. Auch die dürften schnell vergriffen sein.

Péan genießt in Frankreich einen Ruf als unabhängiger und zuverlässiger Rechercheur. Seine Enthüllungen über die Rolle von Expräsident Mitterrand in dem mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regime führten 1994 zu einer Revision des französischen Geschichtsbildes. Auch Le Monde zitierte ihn seinerzeit ausführlich. Sein Koautor Cohen ist angreifbarer, weil er im letzten Präsidentschaftswahlkampf für Chevènement tätig war.

In Paris schlug das Buch schon vor seinem Erscheinen wie eine Bombe ein. Politiker jubilieren, dass nun einmal die „andere Seite“ auf der Anklagebank sitzt. Und Journalisten lachen sich ins Fäustchen, weil es jemand wagt, die sakrosankte Institution anzugreifen.

Die Chefredaktion von Le Monde sprach in Kurzmeldung knapp von einer „Kampagne gegen unsere Zeitung“. Für heute kündigte sie eine Stellungnahme gegenüber ihrer „Gesellschaft der Redakteure“ an.

DOROTHEA HAHN

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