: Boutique Babylon
Gegen den Klau von Luxuskleidung in Bagdad haben die US-Soldaten ein neues Mittel
Ein ungewohntes Bild bietet sich Anfang Januar in den luxuriösen Geschäftsräumen der Bagdader In-Boutique „Babylon“. Dort, wo sonst die Jeunesse dorée der Zweistromhauptstadt mit cooler Hipness Edelfummel aus den westlichen Modemetropolen anprobiert oder die neuesten Designerjeans begutachtet, hat nun ein ganzer Trupp irakischer Polizisten unter dem Geleitschutz schwerbewaffneter US-Soldaten die Umkleidekabinen belegt. Unter Anleitung von Sergeant Fred L. Meyers vom für Bandenkriminalität zuständigen Kommissariat 124 untersuchen die irakischen Mode-Novizen eifrig die bunte Etikettenvielfalt, notieren sich die wichtigsten Marken und versuchen, mit unverfälscht arabischem Akzent, die vorwiegend englischen und französischen Markennamen auszusprechen.
Gucci-Lederjacken für umgerechnet 1.000 Dollar und Ralph-Lauren-Poloshirts für schlappe 150 Euro lassen die irakischen Beamten an ihre ärmliche Besoldung denken, die ihnen den Kauf solcher Luxusteile von vornherein unmöglich macht. Kopfschüttelnd befühlen sie edle Stoffqualitäten, studieren Verarbeitungsunterschiede und lassen sich von sichtlich genervten Verkäufern in die Mythen der Markenhierarchie einweisen. Angesichts eines Armani-Sakkos platzt Streifenwagenfahrer Ahmed Bejal, 23, der Kragen. „Für so viel Geld mach ich ja zwei Jahre Urlaub in Kuwait.“ Sergeant Meyers muss den unbotmäßigen Wüstensohn mit einem heftigen Hieb in die Rippen wieder zur Ordnung rufen. Zu viel steht auf dem Spiel in dem befreiten Land: Noch sind nicht alle Labels durchgenommen, außerdem ist die Anprobe längst nicht abgeschlossen …
Nötig geworden war der Einsatz am ungewohnten Ort durch den sprunghaft zunehmenden Klamottenklau auf den Straßen des nahöstlichen Modemekkas Bagdad, gegen den Sergeant Meyers nun mit unkonventionellen Maßnahmen vorgehen will. „Es kann nicht sein, dass unschuldige Iraker von brutalen Straßengangs überfallen werden, die ihre hilflosen Opfer bis auf die Designer-Unterwäsche ausziehen.“ Deshalb, so die neue Strategie der US-Truppe, sollen irakische Polizisten demonstrativ die teuersten Luxusklamotten zur Schau tragen und so Überfälle provozieren, um von den Neureichen abzulenken. Die Rechnung könnte aufgehen: Die aufgemotzten Beamten wirken beim flüchtigen Hinsehen wie ultracoole Fashionvictims.
Die Anprobe einer modischen Boss-Jacke macht Yussuf Ahmadi sichtlich Spaß. Noch nie in seinem Leben hatte er Klamotten im Wert von 500 Dollar am Leib. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich dafür eine komplette Rundum-Verspoilerung für meinen Moskwitsch bekomme, wird mir ganz schwummerig.“ Doch die Aussicht auf gnadenlose Verfolgungsjagden in Bagdads Asphaltschluchten entschädigt den sympathischen Jungbullen für die mühselige Anprobe und das lästige Auswendiglernen der Markennamen.
Auf die Euphorie folgt allerdings gegen Laden- und Dienstschluss der große Absturz: Als die unerschrockenen Kämpfer gegen das Böse wieder ihre Polizeiuniformen anziehen wollen, stellt sich heraus, dass während der langwierigen Umkleideprozedur drei Uniformjacken gestohlen worden sind. Die haben der Kundschaft offenbar so gut gefallen, dass die sie gleich zum Nulltarif mitgenommen hat. Wenn diese Masche Schule macht, dann könnte sich die absurde Situation ergeben, dass demnächst in den Straßen Bagdads irakische Polizisten in teuren Designer-Kleidung auf Streife gehen – und brutale Jugendgangs in Polizeikluft Jagd auf unschuldige Opfer machen! Was lassen sich die Amerikaner dann bloß einfallen? RÜDIGER KIND
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