Algerien: Alle Räder stehen still

Mit einem zweitägigen Generalstreik protestiert die mächtigste Gewerkschaft gegen die Privatisierung der Staatsindustrie und den Anstieg der Arbeitslosigkeit

MADRID taz ■ „Wir werden alles schließen“, rief am Montagabend der Vorsitzende der algerischen Gewerkschaft UGTA, Abdelmadjid Sidi Said, unter Beifall den in Algier versammelten Vertrauensleuten zu. Und er sollte Recht behalten. Gestern, am ersten Tag eines zweitägigen Generalstreikes, stand das ganze Land still. Ob in der Industrie oder im Handel, ob Fährschiffe oder Bahn, nichts ging mehr. 95 Prozent der Arbeiter und Angestellten folgten dem Streikaufruf. In den Krankenhäusern wurden Notdienste eingerichtet.

Die UGTA protestiert mit dem Ausstand gegen die Privatisierung der Staatsindustrie. Zwar ist die mächtige, einst staatliche Gewerkschaftszentrale nicht grundsätzlich gegen Reformen, die die marode Staatswirtschaft in eine Marktwirtschaft überführt. Aber Sidi Said und die Seinen beklagen „fehlende Transparenz“ beim staatlichen Ausverkauf. Vor allem die Pläne, den Erdölkonzern Sonatrach in Privatbesitz zu überführen, stößt auf gewerkschaftlichen Widerstand. „Damit rasen wir direkt auf den Abgrund zu“, befürchtet Sidi Said. Algerien deckt seine Staatseinnahmen zu 96 Prozent aus dem Geschäft mit Öl und Gas aus der Wüste.

Ohne diese Einnahmen wäre der Staat schnell bankrott. Bereits heute sind die Rentenkassen so gut wie leer. Viele Rentner müssen sich mit weniger als 100 Euro im Monat zurechtfinden, und das bei einem Preisniveau, das sich längst an das in Europa angenähert hat.

In den letzten Jahren fielen der Umstrukturierung und der Sicherheits- und Wirtschaftskrise in Algerien zehntausende von Arbeitsplätzen in der staatlichen Industrie zum Opfer. Die Arbeitslosenquote beträgt nach offiziellen Angaben 30 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, ist jeder zweite ohne Job.

Trotz dieser Lage nahmen nicht alle Gewerkschaften des Landes am Streik teil. Vor allem im Bildungsbereich verzichteten kleine, unabhängige Gewerkschaften auf Kampfmaßnahmen. Sie befürchten, dass es der UGTA mehr um Politik als um die Rechte der arbeitenden Bevölkerung geht. Im Frühjahr 2004 stehen Präsidentschaftswahlen an. Der derzeitige Staatschef Abdelasis Bouteflika möchte wieder antreten. Dies stößt nicht bei allen im übermächtigen Staats- und Militärapparat auf Zustimmung. Sie würden gerne den derzeitige Regierungschef und Vorsitzenden der ehemaligen Einheitspartei FLN, Ali Benflis, im Präsidentenpalast sehen. Die kleinen Gewerkschaften fürchten, dass die UGTA im Auftrag einzelner, um die Macht streitender Clans handeln könnte. REINER WANDLER