Mit Think Big zum Sieg

Für eine mögliche zweite Amtszeit plant George W. Bush große Sprünge. Doch für ihre Verwirklichung fehlt dem Präsidenten das Geld

WASHINGTON taz ■ Ein amtierender US-Präsident, der noch einmal vier Jahre im Weißen Haus schlafen möchte, verkündet in seinem Wahlkampf gewöhnlich, unerledigte Projekte beenden zu wollen. George W. Bush will offenbar mit dieser Tradition brechen. Scheiterte sein Vater noch an fehlenden Visionen, gilt für den Junior die Parole „Think Big“.

Glaubt man dem Stadtgeflüster, feilen Bushs politische Strategen an großen Ideen, mit denen er seinen Fußabdruck in der Geschichte hinterlassen soll. Den Startschuss bildete die am Mittwoch angekündigte Reform des Einwanderungsrechts. Ende Januar, in der Rede an die Nation, könnte er dann weitere Vorhaben aus dem Hut zaubern.

Genaues weiß niemand, doch die Gerüchteküche kochte in den vergangenen Wochen gewaltig. Da war von einer Rückkehr zum Mond die Rede oder gar von einer bemannten Mission zum Mars. Auch andere Ideen sickerten durch. Dazu gehören eine Initiative zur Beseitigung der weltweiten Kinderarmut, eine allgemeine Krankenversicherung für alle Kinder in den USA oder – um den Demokraten noch eines ihrer Lieblingsthemen zu stehlen – Anstrengungen, allen nicht versicherten Amerikanern eine staatliche Gesundheitsversorgung zu garantieren.

Nun ist Bush bislang wahrlich keine politische Kleinkrämer-Seele gewesen. Mit seiner Präventivschlagsdoktrin und der Maxime „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ hat er die außenpolitischen Leitlinien und die traditionelle Interessenpolitik des Landes auf den Kopf gestellt. Der Irakkrieg ist das größte militärische Abenteuer seit Vietnam, der Wiederaufbau des Zweistromlandes das ambitionierteste Vorhaben seit dem Zweiten Weltkrieg. Seine Steuerreform war weitgehender als alles zuvor Gesehene. Und auch die 400-Milliarden-Subventionierung der Medikamentenkosten von Senioren war kein kleiner Wurf.

Doch auf seinem Schreibtisch stapeln sich noch reichlich Akten mit dem Stempel „unerledigt“. Da wären die Reform der Sozialversicherung, die hohe Arbeitslosigkeit und die Verabschiedung eines Gesetzespakets zur Energiepolitik. Am schwersten wiegt jedoch der Irak. Um auf anhaltende Probleme im Irak vorbereitet zu sein, wäre es in den Augen von Bushs Beratern ratsam, einen Joker zu haben: ein Projekt, das die Wähler hinter einen kühnen Präsidenten schart und sie mögliche hohe Opferzahlen im Irak vergessen lässt. Schon John F. Kennedy griff zu diesem Mittel – nach seiner kläglich gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht verkündete er den Flug zum Mond.

Bush hat nur ein Problem. Für große Sprünge fehlt ihm schlicht das Geld. Im Haushalt klafft ein riesiges Loch von 500 Milliarden Dollar. Selbst Republikaner werfen ihm fiskalischen Wahnsinn vor. Doch wenn die Rechnung im Weißen Haus aufgeht, siegt in der Wählergunst die große Idee über den abstrakten Schuldenberg. MICHAEL STRECK