Ein See voller Farben

Walter Leistikow war der Maler der Berliner Seen. Aber selbst damit konnte man in wilhelminischen Zeiten anecken. Seine Kunst und seine Lobbyarbeit für die Kunst stellt das Museum Bröhan vor

Er fand in Berlin schnell Anschluss an den zwei Jahre älteren Gerhart Hauptmann

VON MARCUS WOELLER

Kaiser Wilhelm II. hatte er mit seinen zahllosen Darstellungen von Kiefern umstandener Grunewaldseen auf die Palme gebracht. Versaut habe er ihm das sich um die vorletzte Jahrhundertwende zum Villenvorort entwickelnde Berliner Naherholungsgebiet. Doch Walter Leistikow hatte sich nie um die Wertschätzung des Kaisers geschert und kommentierte 1908 im Berliner Lokal-Anzeiger ein letztes Mal die ästhetische Selbstüberschätzung des Herrschers. Dessen liebstes Neubauprojekt, der Dom, sei der „Schrecken eines jeden Europäers“ und Berlin nicht nur städtebaulich dem Untergang geweiht. „Es ist alles zu Ende! Ich auch.“ Seinem nahenden Syphilistod kam er mit einem Pistolenschuss zuvor. Anlässlich Leistikows 100-jährigen Todestags ehrt ihn das Berliner Bröhan-Museum mit einer retrospektiven Ausstellung.

Ehre wird ihm nicht nur als Landschaftsmaler auf der Schwelle zur Moderne zuteil, sondern auch als einflussreichem Kulturaktivisten und Netzwerker der bürgerlichen Großstadtboheme um 1900.

Geboren wurde Leistikow 1865 in eine Bromberger Apothekerfamilie, die ihr wirtschaftliches Auskommen in der Produktion eines populären Magenbitters fand. Nach einer Ausbildung bei dem norwegischen Maler Hans Gude fand er in Berlin schnell Anschluss an junge Intellektuelle, Künstler und Literaten wie den zwei Jahre älteren Gerhart Hauptmann, der kurz vor seinem Durchbruch stand, oder den ehrgeizigen Journalisten Theodor Wolff – mit beiden verband Leistikow eine lebenslange Freundschaft.

Dass ihn auch ältere Kollegen wie Lovis Corinth oder Max Liebermann schätzten, lag nicht unbedingt nur an seinem Talent, das ihm schon die Königliche Kunstakademie nicht zugestehen wollte, sondern vor allem an seinem Freigeist, seinem Gestaltungswillen und der Respektlosigkeit gegenüber dem höfischen Establishment.

Den Akademiepräsidenten und Hofmaler Anton von Werner machte er sich schnell zum Feind, als er gegen die verkrusteten Jahresausstellungen opponierte und gemeinsam mit Liebermann und neun weiteren Künstlern Anfang der 1890er-Jahre die Gruppe der XI gründete, den Prototyp einer Produzentengalerie.

Deren Erfolg ermutigte Leistikow, 1898 die Berliner Secession ins Leben zu rufen, eine selbstverwaltete Abspaltung vom akademischen Kunstbetrieb, die bald ihr eigenes Haus am Kurfürstendamm eröffnen konnte. Zwei Jahre später engagierte er sich im Gefolge Harry Graf Kesslers für die Gründung des Deutschen Künstlerbundes, mit der sich die erste libertär moderne und überregionale Künstlervereinigung konstituierte.

Seine weitreichenden Kontakte in die Kunstwelt spiegeln sich in seiner Kunst nur vermittelt wider. Er malt keine Porträts oder Großstadtszenen und kommuniziert lieber mit der Landschaft, besonders mit der märkischen.

Sein Sujet sind Schlachtensee und Hundekehle, Diana- und Wannsee, Tümpel im Grunewald und Wasserlöcher im Oderbruch. In ständiger Reihung der gleichen Details – Wasser, Himmel, Wald – und oft auch wiederkehrender Perspektive aus leichter Aufsicht auf eine kurvig geschwungene Bucht lotet Leistikow die karge Mystik dieser Landschaft aus.

Die gemalten Orte bleiben dabei häufig anonym. Er porträtiert nicht eine bestimmte landschaftliche Position, sondern beschreibt den Zusammenhang von Farben und Formen.

Dabei bewegt sich Leistikow zwischen Naturalismus und Abstraktion, verhaltenem Impressionismus und expressiver Farbübersteigerung. Während sein Hauptwerk „Grunewaldsee“ von 1895 aus der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin an seinem gewohnten Platz in der Alten Nationalgalerie aufgrund seiner Nachbarn symbolistisch geheimnisumwittert wirkt und die Schwarzvariationen Arnold Böcklins zu zitieren scheint, reiht es sich in der Hängung im Bröhan-Museum nahtlos in die Abfolge von Seestücken.

Leistikows Modernität liegt in der stoischen Serialität gänzlich unspektakulärer Motive. Er sucht in der Landschaft weder Pathos noch Erhabenheit, sondern die Stimmungen, die das Wechselspiel von Licht und Schatten, sonnigem Kontrast und Dämmerdunkel der Landschaft auferlegt. Modisch wird er in seiner Nähe zum nordischen Jugendstil und der Liebe zu Skandinavien.

Landschaftsstudien à la Munch verkauften sich gut, auch wenn der Norweger mit seiner avantgardistisch-philosophischen Gesinnung im konservativen Wilhelminismus Berlins 1892 noch einen Skandal ausgelöst hatte.

Leistikow arbeitete an der Bekanntmachung der skandinavischen Kunst in Deutschland, doch sein eigenes Faible für die Formfreiheit des Nordens mündete hauptsächlich in kunstgewerblichen Entwürfen für Webwaren und Tapetenmuster oder der dekorativen Auflösung eines Gletschermotivs. Nationalromantische Tendenzen und der Hang zur esoterischen Lebensreformbewegung, welche die Skandinavienmode mit sich brachte, sind bei Leistikow nicht auszumachen, auch wenn er sich gern im vegetarischen Café am Schlachtensee einquartierte, um selbigen wieder und wieder zu malen.

„Stimmungslandschaften – Gemälde von Walter Leistikow (1865–1908)“, Bröhan-Museum, Schloßstraße 1a, Charlottenburg, Di.–So. 10 -–18 Uhr, noch bis zum 11. Januar 2009. Ein Katalog zur Ausstellung ist im Deutschen Kunstverlag erschienen, 25 Euro