Mit Schippern ist jetzt Schluss

Nicht nur den Kleinensielern bereitet der Wesertunnel Kopfzerbrechen. Die Einweihung der beiden Röhren beendet eine lange Reihe von Querelen. Wirtschaft und Politik feiern das “Jahrhundertbauwerk“ als Kernstück der geplanten Küstenautobahn

Aus Hannover Kai Schöneberg

Früher schipperten die Kleinensieler gerne sonntags mit der Fähre nach Dedesdorf, um dort einen Kaffee zu trinken. Damit ist bald Schluss: Die Weserdörfler sind wehmütig, die Fähre stellt am 20. Januar um punkt 24 Uhr ihren Dienst ein. Am gleichen Tag nimmt Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) den Wesertunnel in Betrieb, zwei 1,6 Kilometer lange Röhren, die der schwächelnden Region einen Schub geben sollen. Bislang gab es auf der 60 Kilometer-Strecke zwischen Bremen und Nordsee keine feste Weserquerung.

Allerdings ist der Tunnel nur für Autofahrer gedacht. Da wird “Kleinensiel ein abgelegenes Dorf werden“, sagt Dieter Oellrich, der Vorsitzende des Ortsvereins, traurig. Was Planer und Politiker als Großtat feiern, bereitet nicht nur den Anrainern Kopfzerbrechen. Die Vollendung des „Jahrhundertbauwerks“ am übernächsten Dienstag wird jahrzehntelange Querelen um seinen Bau in die Geschichte betonieren. Nicht nur, dass Fährleute beim Spatenstich vor fast genau sechs Jahren symbolisch ein Schiff versenkten – der Tunnel bedroht heute auch die Jobs der übrigen fünf Fährverbindungen über die Weser. Die Benutzung des Tunnels ist kostenlos. Eine Fährpassage kostete bislang pro Fahrt zwischen 4,50 Euro für PKW und 16 Euro für einen LKW.

Die Geschichte des Röhrenbaus ist die Geschichte des Widerstands einer Region. Drei Anzeigen gegen die Weserwürste waren in den 90er Jahren beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingegangen – ohne Aussicht auf Erfolg. Nabu und Naturschutzverein Niedersachsen klagten gegen die Zerstörung von Vogelrückzugsgebieten, ein Bauer gegen die Beeinträchtigung seiner Landwirtschaft durch den Durchgangsverkehr. Inzwischen rechnet man mit 10.000 Autos täglich, für 25.000 ist der Tunnel ausgelegt. Sogar der CDU-Fraktionschef der Gemeinde Stadland ging vor den Kadi: Sein Haus lag direkt an der geplanten Zufahrt zum Tunnel. Alle Proteste blieben erfolglos.

Zwar wurden 410 Hektar Ausgleichsflächen ausgewiesen. Dennoch zerfurchen heute Rampen und Betonöden die Marsch um Rodenkirchen und auf der östlichen Seite der Weser. „Verkehrspolitisch bringt der Tunnel wenig“, weil der Bedarf gar nicht da sei, sagt Michael Frömming vom Verkehrsclub Deutschland. Er sieht in ihm „ein Geschenk an die Straßenbaulobby“. Weitere dürften folgen.

Als die Trasse in den 70er Jahren diskutiert wurde, wiegelten noch alle ab: Der Tunnel werde ein Solitär bleiben. Inzwischen gilt er als Teil einer europäischen Verkehrsachse, die das Baltikum an das westliche Ruhrgebiet und an die Häfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen anbinden soll. Er ist das „Kernstück der Küstenautobahn“, sagt Niedersachsens Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP). Auch Bremens Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) freut sich. Der Tunnel habe eine „ganz hohe Bedeutung“, um die Wesermarsch an Bremerhaven anzubinden. Für den geplanten Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, für Airbus und für die chemische Industrie in der Region hätte die 900 Millionen teure A 22 eine „immense Wirkung“, sagen auch die Handelskammern (siehe Karte). Für diese „Küstenmagistrale“ sind aber noch längst nicht alle Messen gesungen. Hamburg und Schleswig-Holstein favorisieren nämlich eine Verlängerung der A 20 Richtung Sittensen zur A 1 als Verlängerung des ebenfalls geplanten Elbtunnels. Nachdem eine Brandschutzübung am vergangenen Mittwoch zum Leidwesen der Verantwortlichen komplett floppte, wird der Tunnel an diesem Wochenende erstmals öffentlich genutzt werden: Marathonläufer wollen am Sonntag 13 Mal durch die Nordröhre rasen.