Mut zur Führung

Wer Lust hat, Touristen professionell die Stadt zu zeigen, sollte es tun – und sich dafür bezahlen lassen. Gefragt sind Talent und Initiative, denn den staatlich anerkannten Gästeführer gibt es nicht

Von PATRICK TIEDE

„Hier links, schauen Sie, da hat der Michael Stich ein Haus saniert. Scheint einiges abgeworfen zu haben, das Tennis spielen. Und jetzt kommt gleich die Villa von Jil Sander. Ach, haben Sie gesehen, da geht ja der Pleitgen spazieren ...“ Emi Evers redet. Ohne Punkt und Komma. Und das muss sie auch. Als Stadtführerin sitzt die 53-Jährige anderthalb Stunden im Reisebus und geleitet Touristen durch Hamburg. Dann eine halbe Stunde Pause und gleich die nächste Tour. Für Evers ein Traumjob: „Es ist eine Passion geworden, anderen Menschen Hamburg zu zeigen.“ So weit, so gut. Doch wie wird man Gästeführer, und wie kann man damit auch noch Geld verdienen?

Stadtführer ist kein staatlich anerkannter Beruf. Jeder könnte es, viele versuchen es, die wenigsten beherrschen es. Profi-Guide Evers empfiehlt: „Als erstes sich selbst überprüfen.“ Also: Reicht mein Wissen über die Stadt? Bin ich ein offener, kommunikativer Typ? Mag ich flexible Tagesrhythmen? Selbst wenn die Antwort uneingeschränkt „Ja“ lautet, kann es immer noch am mangelnden Mut scheitern. Evers: „Die ersten Male habe ich vorher immer Durchfall gehabt.“

Früher konnte man sich den Mut bei der Tourismuszentrale antrainieren, vorausgesetzt, das nötige Kleingeld von 1.500 Mark war vorhanden. Dafür gab es eine Art „Survival-Pack für Stadtführer“, um „draußen“ klarzukommen. Einen Monat dauerte der Kurs quer durch alle Themengebiete. Am Ende standen drei Prüfungen. Wer bestand, erhielt ein Zertifikat. Das schärfte zwar das Selbstverständnis – staatlich anerkannt aber war es nicht.

Inzwischen gibt es keine Ausbildung mehr, und auch kein Zertifikat. Auf dem Markt herrscht deshalb leichtes Chaos. Neulinge sollten sich erst einmal an den Hamburger Gästeführer-Verein (HGV, ☎ 0700/21 44 21 44) wenden. Dort haben sich 80 Führer organisiert. Der Vorsitzende Cord Sarnighausen erkennt zwar keinen akuten Bedarf an neuen Leuten, aber das muss nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten.

Gefragt sind weiterhin Menschen, die etwas Besonderes zu bieten haben. Außergewöhnliche Sprachen zum Beispiel. Die Polin Maria Ozwos fuhr früher nur Taxi. Jetzt sitzt die 50-Jährige immer öfter im Reisebus und erklärt die Stadt. Auf polnisch. Ihre Kollegin Aila Radden tut es auf finnisch, eine andere sogar auf chinesisch.

Es muss auch nicht immer das klassische Reisegefährt sein. Vereinzelt sind Rundtouren auch schon mit dem Fahrrad möglich. Auf eine echte Marktlücke stieß im vergangenen Jahr der Hamburger Goesta Dreise. Er joggt mit seinen Gästen durch die Stadtteile. Sieben Kilometer in rund 45 Minuten, je nach Bedarf und Kondition auch mehr. Dreise ist Triathlet und hat beim Laufen noch die Puste für ein Schwätzchen. Die Auftragslage ist gut. So mancher Vorstandsvorsitzende zwängt für den Kurztripp nach Hamburg noch schnell die Laufschuhe ins Gepäck. Cash gibt es direkt nach dem City-Run auf die Hand. Da bleibt es auch. Ein großer Vorteil, wenn alles selbst organisiert wird. Hängt man dagegen am Auftragstropf der Tourismuszentrale, sind 20 Prozent der Einnahmen abzuführen. Als Reinerlös einer zweistündigen Bustour verbleiben dann 70 Euro.

Wer den Sprung in das Gästeführerdasein wagen will, muss beim zuständigen Ordnungsamt ein Kleingewerbe beantragen. Das dauert keine fünf Minuten und kostet ganze 18 Euro. Loslegen kann man sofort – wenn man den Mut aufbringt.