Das Geld der Militärs lockt

Das mittelständische Flugzeugwerk in Lemwerder war einmal ein Vorzeige-Erfolg von Gerhard Schröder. Nun wird es ein Zulieferer am Tropf der EADS, die mit dem Geld des V-Ministeriums Unteraufträge erteilt

Als die Deutsche Aerospace AG (Dasa/München) im Jahre 1994 ihr Flugzeugwerk im niedersächsischen Lemwerder bei Bremen schließen wollte, da protestierte ein ganzes Dorf: Mit den 1.200 Arbeitsplätzen war die wirtschaftliche Basis der Region gefährdet. Der ehrgeizige Ministerpräsident Gerhard Schröder in Hannover witterte eine Chance, sich als Industriepolitiker profilieren zu können.

Und Schröder kam, half und siegte: Das Land übernahm den Flugzeugbetrieb und übergab ihn in saniertem Zustand mit 700 Beschäftigten an den Unternehmer Jürgen Großmann. Jahre später noch empfahl sich Schröder mit diesem Erfolg in Lemwerder als Kanzlerkandidat: Eine Region kann „Schwächen relativer Abgelegenheit“ nur kompensieren, erklärte er, wenn sie eine spezifische Innovationsstrategie hat. Voraussetzung sei die „Bereitschaft der Beschäftigten zu Flexibilität in allen Bereichen“, Voraussetzung sei auch, dass „vertrauensvolle Zusammenarbeit an die Stelle von Konfrontation“ tritt zwischen Arbeit und Kapital. Das ist lange her. Der Unternehmer Großmann hat in aller Stille und ohne Zusammenarbeit mit der Belegschaft im Jahre 2003 den Verkauf der Mehrheitsanteile an die DASA-Nachfolgerin, die europäische EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) verhandelt und Ende des Jahres bekannt gegeben: ASL Lemwerder wird Standort von EADS Military Aircraft.

Die Mitarbeiter und die IG Metall verstehen diese überraschende Wendung in der Unternehmensgeschichte nicht – und protestierten. Noch im September hatte der ASL-Geschäftsführer Nicholas von Mende die Jahresbilanz für 2002 verkündet: Ein kleines Plus, immerhin. Die Geschäftsleitung hatte neue Projekte bei der Flugzeugwartung vorgestellt. Der Betriebsratsvorsitzende Friedrich Neumann meinte auch heute, die Auftragslage in Lemwerder sei doch hervorragend, die Verkaufs-Entscheidung nicht nachvollziehbar.

Die Erklärung des Unternehmers Großmann klingt überraschend vor diesem Hintergrund, weil sie lange zurückgreift: Der 11. September 2001 habe zu einem Einbruch im zivilen Luftverkehr geführt, erklärt Großmann, und es gebe in der Folge auch einen Einbruch bei den Wartungsaufträgen, auf die sich Lemwerder spezialisiert hat. Die EADS will die Wartung ziviler Flugzeuge in Lemwerder nun ganz einstellen und eine Restbelegschaft von 210 Mitarbeitern mit der Zulieferung von Teilen für ihre Militäraufträge (Eurofighter, Tornado) beschäftigen.

Großmann wollte einmal mehr. Ende der 90er Jahre war seine ASL federführend bei dem Angebot eines überwiegend niedersächsischen Firmen-Konsortiums, die russische Antonov zum NATO-Transportflugzeug umzubauen. 5.600 neue Arbeitsplätze in der deutschen Luftfahrtindustrie sollte das geben, wenn das neue Transportflugzeug der Bundeswehr ein „Russe“ würde - aufgepeppt mit westlicher Elektronik und endmontiert in Lemwerder bei Bremen. Die Bundesregierung entschied im Jahre 2000 dagegen – und zu Gunsten der Airbus-Bauer. Schröders Erben in Hannover interpretierten das verständnisvoll als Versuch, die zivile deutsche Flugzeugindustrie „militärisch zu unterfüttern“, und forderten, dass wenigstens ein Teil der Aufträge für den Bau des künftigen NATO-Großraumflugzeugs A 400 M an mittelständische niedersächsische Unternehmen geht. „Mit einer Beruhigungspille geben wir uns nicht zufrieden“, betonte der damalige Fraktionsvorsitzende Axel Plaue.

Der EADS-Chef Rainer Hertrich sagte Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel damals eine Beteiligung der ASL am Bau des neuen Airbus-Militärtransportflugzeuges zu, von 30 bis 50 Millionen Mark Auftragsvolumen berichtete Gabriel. Dem Werk in Lemwerder wurden von dem EADS-Chef Hertrich Zulieferaufträge in einem Volumen von circa 40 Millionen Mark zugesagt, daran erinnert auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning, der damals vom Haushaltsausschuss für die Verhandlungen um den Militärtransporter zuständig war.

Aber so richtig konkret wurde der Anteil der ASL aus Lemwerder nie. Bis dann im Herbst 2002 Großmann den EADS-Chef Hertrich auf die mögliche Übernahme von Lemwerder ansprach. Als mittelständisches Unternehmen habe die ASL keine Überlebenschance gehabt, erklärte Großmann heute nach Abschluss der Gespräche. Und Hertrich seinerseits bestätigte, „dass der Umbau von Lemwerder zu einem militärischen Standort nur dann Sinn macht, wenn wir gemeinsam mit allen Beteiligten ein wirtschaftlich vernünftiges Standort-Konzept erarbeiten können“. Das „wir mit allen Beteiligten“ bedeutet: Die EADS hat das Sagen und die Politik muss mitziehen. Mit der Übernahme des Werkes Lemwerder ist jetzt auch der Weg frei für die Zuliefer-Aufträge der EADS. Von circa 700 Beschäftigten sollen 210 in Lemwerder bleiben.

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Wolfram Elsner, der lange Jahre im nahen Bremen als „Konversionsbeauftragter“ den Umbau von Rüstungsbetrieben mit Förderprogrammen begleitet hat, hat das Flugzeugwerk Lemwerder direkt vor der Landesgrenze immer im Blick gehabt. Richtig ärgerlich findet er, dass der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) von einem „Beitrag zur Sicherung des Luftfahrtstandortes Lemwerder“ sprach. „Der Mann hat keine Ahnung“, sagt Elsner. Dass die Landesregierung keinen Finger krumm gemacht habe, um den Verkauf an die EADS zu verhindern, sei das krasse Gegenteil von Industriepolitik und auch von Mittelstandspolitik. „Unter einem Ministerpräsidenten Schröder wäre das nicht passiert“, sagt Elsner. Denn klar ist für den Wirtschaftsexperten: Die Rüstungsmärkte haben auf Dauer nicht die Wachstumsraten, die ein Betrieb braucht. Über Jahre hat Elsner sich mit vielen Millionen an Fördergeldern darum bemüht, die Abhängigkeit der Bremer Region von der Rüstungsproduktion zu verringern. Nun wird an verschiedenen Stellen das Rad wieder zurückgedreht, das schnelle große Geld aus den Militäraufträgen lockt.

Aber ein Konzern wie die EADS wird im Zweifelsfall immer zuerst an seine eigenen Kernbetriebe denken, Lemwerder ist für die EADS das letzte Glied in der Kette. Das Kapital des Lemwerder-Betriebes seien dagegen seine Ingenieure, sagt Elsner, und die werden nun am Standort Lemwerder dezimiert, anstatt mit den Ingenieuren der Belegschaft nach Alternativen zu suchen, falls es stimmen sollte, dass bei der Flugzeugwartung keine ausreichenden Gewinnmargen mehr erreicht werden können. Nun soll der Flughafen Lemwerder dicht gemacht werden – wo gerade die rund um die Uhr zugängliche Landebahn (neben der direkten Anbindung an die Weser) einer der großen Pluspunkte des Werks gewesen war. Auch Betriebsrat und IG Metall kritisierten die Reduzierung auf ein Drittel der Belegschaft und reine Militär-Zulieferarbeit als „Verrat“ an einer bisher hoch flexiblen Belegschaft.

Im europäischen Spiel der EADS wird Lemwerder nur noch ein kleiner Bauer in Norddeutschland sein. Als Mitte Dezember der Personalchef der EADS dem Betriebsrat der ASL den neuen ASL-Geschäftsführer Dr. Andreas Rohne, bisher Büroleiter des Chefs von EADS-Military, vorstellen wollte, da wurde er von 600 protestierenden Mitarbeitern empfangen, die auf seinem gesamten Weg über das Werksgelände eine enge Gasse bildeten. Auf die Frage, warum die zivilen Wartungsaufträge nicht weitergeführt werden sollen, habe der Betriebsrat keine konkrete Antwort bekommen, berichtete Dagmar Mahnken, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende nach der Vorstellung. Auch auf die Frage, warum die EADS die ASL überhaupt gekauft habe, habe es nur ausweichende Antworten gegeben. Der Betriebsrat kündigte an, er wolle um jeden einzelnen Arbeits- und Ausbildungsplatz kämpfen.

Klaus Wolschner