Unser Museum neben dem Pei-Bau

Das Zeughaus, Haus für das Deutsche Historische Museum, ist renoviert und kommt ohne „konservatorische Wende“ daher. Den Barock bis zur DDR-Verkleidung hat Architekt Brenne respektiert und viel Platz für deutsche Erinnerungswelten geschaffen

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Als Ieoh Ming Pei, Architekt des 2003 eröffneten Erweiterungsbaus für das Deutsche Historische Museum (DHM), einmal nach der Bedeutung seiner Bauaufgabe in Berlin gefragt wurde, wählte er den Vergleich: In der Nachbarschaft der preußischen Architekturstars Andreas Schlüter und Karl Friedrich Schinkel zu bauen sei für ihn „eine der schwierigsten Aufgaben“ und zugleich die Herausforderung als Architekt gewesen. Der Dialog mit Schlüters hochartifiziellem barockem Zeughaus und dem strengen schlichten Klassizismus von Schinkels Neuer Wache erforderten mehr als ein genügsam bauliches Gegenstück, ging es doch um nichts Geringeres als um die Fortschreibung der Architekturgeschichte.

Peis schöner Glaskubus hinter dem Zeughaus hat den Test bestanden. Seit gestern stellt sich die Frage nun umgekehrt: Besteht nach fünfjährigem Umbau des DHM (1999 bis 2004) das Zeughaus den Vergleich mit Pei? Was haben der Architekt Winfried Brenne und der Bund als Bauherr aus der vieldeutigen Kreuzung zahlreicher Umbauten des 300 Jahre alten Bauwerks herausgeholt, verschwinden lassen oder rekonstruiert? Oder ist das generalüberholte Baudenkmal, das an den Berliner Linden – neben dem verschwundenen Stadtschloss – zu den ranghöchsten barocken Gebäuden zählt, geschändet worden?

Wer jetzt in das renovierte Haus eintritt, sieht alles andere als eine Schändung. Hätte dies doch bedeutet, dass Brenne sich einer konservativen Sanierungshaltung unterwerfen würde, die ein längst verschwundenes Original auszugraben versucht.

Stattdessen lässt man als Besucher die nach dem Krieg wieder aufgebaute rosarote Fassade mit ihrem Figurenschmuck hinter sich und steht in einem Zeughaus, das all seine Zeitspuren dokumentiert und zugleich modern daherkommt.

Im Ergeschoss mit Foyer, Café, Kino, Bibliothek und Ausstellungsflächen hat Brenne die Spuren der Nachkriegsarchitektur und des DDR-Ambientes belassen und modernisiert. Der große quadratische Schlüterhof für Veranstaltungen ist mit einer filigranen Glasdecke überdacht. Vom Tiefgeschoss ist ein Verbindungsgang hinüber zum Pei-Bau und zu den Wechselausstellungen gegraben worden.

Im Obergeschoss hat der Architekt die fast prüde Pfeilerhallen-Konzeption aus der Schinkelzeit samt DDR-Verkleidungen mit minimalistischen Mitteln erhalten und den großen dreischiffigen Raumeindruck von fast 90 Meter Raumlänge im Quadrat visuell gesteigert. Als stünde man in einer Fabrikhalle, geht beim 360-Meter-Rundgang der Blick an den Pfeilern vorbei und durch die hohen Fenster in den Innenhof und nach draußen bis zum Palast der Republik – dem eigentlichen Schauspiel zu deutscher Geschichte.

Der Versuchung, den 25 Millionen Euro teuren Umbau für die 7.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Kulisse aus barocker Außenhaut und modernistischem Innenleben einerseits oder original Schlüter’scher Rekonstruktuion andererseits werden zu lassen, hat Brenne nach dem Gewinn des Architekturwettbewerbs 1998 widerstanden. Statt dessen hat er sich einer modernen Haltung der Denkmalpflege verpflichtet gefühlt. Berlins Landeskonservator Jörg Haspel sagte darum bei dem Festakt, dass es gelungen sei, das vielfach umgebaute Zeughaus „in seinen veränderten Funktionen“ und historischen Schichten zu respektieren und „keine konservatorische Wende“ zu inszenieren.

In der Tat hat das Haus, wo in Zukunft von den Fellen der Germanen über die Pickelhaube Bismarcks bis zu den Sesseln der Volkskammer (aber auch bekanntermaßen Wesentlicheres wie ein Stück Berliner Mauer neben 7.600 anderen Objekten) ausgestellt werden wird, viel auf dem Buckel.

Am 28. Mai 1695 ließ Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, der spätere König Friedrich I., den Grundstein für das Berliner Zeughaus legen. Bevor er 1730 fertig wurde, waren mehrere Baumeister an dem Symbolbau beteiligt, unter ihnen Andreas Schlüter. Genutzt wurde das Gebäude zunächst vom preußischen Militär als Waffenarsenal. Im 18. Jahrhundert war es das größte Waffendepot Brandenburg-Preußens. Nach 1815 begann unter der Leitung Karl Friedrich Schinkels eine umfangreiche Umgestaltung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Zeughaus den „Preußischen Kunstsammlungen“ angegliedert. 1939 gingen die Heeresmuseen in Berlin, München und Dresden an die Wehrmacht. Im Zeughaus wurde deutsches Nazi-Heldentum beschworen.

1944/45 beschädigten Bomben- und Granateinschläge das Gebäude schwer. Von 1948 bis 1965 wurde es wieder aufgebaut und bildete das zentrale DDR-Geschichtsmusem für „Deutsche Geschichte“, das den Besucher mit einer überlebensgroßen Lenin-Skulptur begrüßte. Im September 1990 wurde das Museum von der letzten Regierung der DDR aufgelöst und danach als Deutsches Historisches Museum (DHM) für die repräsentative Sammlung Unter den Linden genutzt.

Obwohl DHM-Direktor Hans Ottomeyer schon jetzt von dem „grandiosen Bau in bester Lage“ schwärmt und sein „Museum in bester Lage“ entstehen sieht, das „einmalig in Deutschland ist“, wird es die Besucher ab November 2004 (Eröffnung) wohl zuerst zu Peis Neubau ziehen. Die Chance, sich etwa mit einer herausbrechenden Glaskuppel – wie beim Reichstag – vom Altbau zu distanzieren, hat Brenne aus Rücksichtnahme und Bescheidenheit vor dem vieldeutigen Denkmal gescheut. Das ist ein wenig Respekt zu viel.