Noch ist der Appetit nicht gestillt

Zustände wie in der Wirtschaft: Große Kirche geht mit kleiner Kirche zusammen und will so eine effizientere Struktur schaffen. Dabei hat das Berliner Großunternehmen auch schon den nächsten regionalen Versorger im Blick

Man kennt das: Die Großen schlucken die Kleinen. Was in internationalen Konzernen und heimischen Großunternehmengang und gäbe ist, hat nun, so scheint, es, die Kirche erreicht. Genauer: die Evangelische Kirche in Ostdeutschland. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg mit mehr als 1,2 Millionen Mitgliedern und die Evangelische Kirche Schlesische Oberlausitz mit rund 64.000 Gläubigen fusionieren miteinander. In Kirchenkreisen spricht man allerdings lieber von „Neubildung“.

Dabei geht es – im Unterschied zu Fusionen in der Wirtschaft – nicht hauptsächlich um Rationalisierung, also eine schlankere Verwaltung und Arbeitsplatzabbau. Die frühere Kirche der schlesischen Oberlausitz habe die Kirchenneubildung mit Berlin-Brandenburg aufgrund der Erkenntnis initiiert, dass es ihr „auf Dauer nicht möglich sein werde, alle Funktionen einer Kirche wahrzunehmen“, so der Berliner Konsitorialpräsident Uwe Runge. Anders gesagt: Sie ist zu klein, um allein am Markt präsent sein zu können.

Insofern ist die Fusion eine Art Notbremse, da kein Ende des Abwärtstrends abzusehen war: Die Mitgliederzahlen gingen ständig zurück – im Osten haben auch die Kirchen mit Abwanderung und Austritten, oft auch finanziell motiviert, zu kämpfen. Weniger Mitglieder bedeuten aber auch geringere Einnahmen; in der Konsequenz müssen die Ausgaben, auch beim Personal, gesenkt werden. Das Sein bestimmt den Glauben.

Die geplanten Umstrukturierungen in der neuen Kirche zeigen, dass die Verwaltung konzentriert werden soll: Zwar sollen durch die Fusion keine Arbeitsplätze wegfallen, die zentralen Verwaltungsfunktionen einer Landeskirche werden aber künftig von Berlin übernommen. Rund 180 Mitarbeiter sind in der Hauptstadt damit beschäftigt. Sie bekommen künftig zwei neue Kollegen aus Görlitz hinzu, die ihre Koffer packen. Die restlichen rund 20 Görlitzer Mitarbeiter verbleiben in einem zu gründenden Verwaltungsamt an der Neiße, wo ein neuer Kirchenbezirk, Sprengel genannt, entsteht. Statt aus drei besteht die fusionierte Landeskirche künftig aus vier Sprengeln.

Zumindest eine Personaleinsparung ist schon absehbar: in der schlesischen Oberlausitz – wozu die evangelischen Christen die Kirchenkreise Nisky, Weißwasser, Hoyerswerda und Görlitz zählen – werde es keinen Bischof mehr geben, sagt der Berliner Leiter der Abteilung Kirchenrecht, Alexander Straßmeir. Dafür bekomme Görlitz einen Generalsuperintendenten.

Mittelfristig werde es aber zu Einsparungen kommen, so Straßmeir. Der Umfang lasse sich jedoch noch nicht bestimmen. „Die Diskussion muss noch geführt werden.“ Dies zeige im Übrigen, dass es bei der Neubildung der Kirche nicht um Personaleinsparungen gegangen sei. Für die Beschäftigten in den Gemeinden ändere sich durch die Neubildung nichts.

Auch der Berliner Konsistorialpräsident Runge betont, mögliche Einspareffekte hätten bei der Entscheidung zur Fusion nur eine geringe Rolle gespielt. Auf Dauer würden jedoch insbesondere beim Leitungspersonal Parallelbesetzungen abgebaut. Damit sei auch eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit verbunden.

Der Appetit der großen Kirche in Berlin scheint mit dem Görlitzer Brocken aber noch nicht gestillt zu sein. Nur 60.000 Mitglieder zählt die Evangelische Landeskirche Anhalts, die kleinste Landeskirche im Verbund der Evangelischen Kirchen Deutschlands. Sie sei längst „an die Grenze der eigenständigen Wahrnehmung der kirchlichen Funktionen gestoßen“, so Runge. 2001 noch hatte die anhaltische Kirche eine Beteiligung an der Fusion mit Berlin-Brandenburg abgelehnt. RICHARD ROTHER