Recht, nicht Rache

Im Umgang mit Saddam kann der Westen viel gewinnen – wenn der Diktator ein völkerrechtlich sauberes Verfahren erhält und somit Mythenbildung verhindert wird

Das Zerwürfnis des Westens kommt dem internationalen Terrorismus, nicht der Anti-Terror-Koalition zugute

Wenn Politik Symbole braucht, dann ist die Gefangennahme von und der Umgang mit Saddam Hussein das beste Symbol dafür, dass die Ära Hussein im Irak unumkehrbar zu Ende ist. Ob aber Saddams Gefangennahme das Ende des irakischen Widerstandes bedeutet und sich dem die geordnete Übergabe der Macht von den okkupierenden Staaten an die Repräsentanten des irakischen Volkes anschließen wird, ist mehr als fraglich.

Die unabdingbare Frage aber wird in den nächsten Monaten sein: Was wird aus Saddam Hussein? Unstrittig ist, dass ihm der Prozess gemacht werden soll, und dies im Irak selbst. Die Hoffnung ist, dass ein solcher Prozess dem irakischen Volk die Möglichkeit einer Katharsis von den Verbrechen der Vergangenheit eröffnen möge. Vor allem aber soll der Prozess den Opfern im Irak endlich Gerechtigkeit bringen.

Wie weit den Vereinigten Staaten der Fall Saddam schon entronnen ist, zeigt sich an der Äußerung eines Mitglieds des irakischen Regierungsrats, Muwafak al-Rabii, der nicht nur ganz unverblümt für einen schnellen Prozess, sondern gleich auch noch für eine schnelle Hinrichtung Saddam Husseins plädiert hat. Damit steigen die Chancen, dass das Wort der „Siegerjustiz“ sich im Arabischen etablieren wird.

Gleichfalls ist bereits klar, dass es bei dem Prozess kaum um Gerechtigkeit, sondern vielmehr um Rache gehen wird. Der Wunsch der amerikatreuen Regierungsratsmitglieder geht offensichtlich mehr in Richtung Schauprozess als in Richtung eines die irakische Vergangenheit aufarbeitenden langwierigen Prozesses. Es wird sich aber herausstellen, dass die Exekution Saddam Husseins für die Entwicklung des Irak äußerst negative Folgen haben wird:

Erstens: Die Todesstrafe für Saddam Hussein wird diesen in der arabischen Welt dauerhaft verklären. Die Tatsache, dass George W. Bush den einstigen Bündnisgenossen seines Vaters und Donald Rumsfelds auf dem Schafott sehen, aber zugleich das peinliche Kapitel US-irakischer Kooperation unter den Tisch kehren will, wird in der arabischen Welt dazu dienen, Saddam zum Opfer und personifizierten Beispiel der amerikanischen Doppelmoral zu machen.

Zweitens: Ein Todesurteil wird das Verhalten der USA in der Region – also das Ausmaß der amerikanischen Geheimdiensthilfe in der Ära Ronald Reagan, der Unterstützung bei der Vergasung von Iranern im ersten Golfkrieg, die Duldung der Niederschlagung der schiitischen und kurdischen Aufstände nach dem zweiten Irakkrieg 1991 – zur Legende mythologisieren, die den Hass in der arabischen Welt auf den Erzfeind Amerika dauerhaft fördert.

Drittens: Die Hinrichtung wird nicht als ein Signal der Gewalteindämmung wirken. Vielmehr wird es in einer der gewalttätigsten Regionen der Erde Gewalt als legitimes Mittel von Politik stärken, da es die Denk- und Verhaltensweisen affirmiert, die über Jahrzehnte von Saddams Unrechtsregime praktiziert wurden.

Viertens: Der irakische Regierungsrat wird nach der erfolgten Exekution Saddams in großen Teilen der Welt als eine Marionette der Vereinigten Staaten angesehen werden. Das Sondertribunal dürfte dann im Nachhinein als ein verlängertes Exekutivorgan der amerikanischen Armee begriffen werden.

Fünftens: Die Aufarbeitung anderer Verbrechen des Regimes Saddam Hussein wird leiden. Prozesse wie gegen den ehemaligen Außenminister Tarik Asis oder gegen Ali Hassan al-Madschid, der wegen seiner Befehligung des Einsatzes von chemischen Waffen gegen die Kurden in den 1980er-Jahren auch „Chemie-Ali“ genannt wird, werden kaum noch die gleiche Beachtung finden, wenn Saddam erst einmal exekutiert worden ist. Eine Vielzahl der Verbrechen des Regimes wird hinter die Befriedigung durch die Rachejustiz in Form der Hinrichtung Saddams in den Hintergrund treten.

Sechstens: Die USA lassen eine große Chance verstreichen, die westliche Welt nach den Verunstimmungen durch den Irakkrieg wieder zusammenzuführen. Schon jetzt haben sich die Europäische Union, die Vereinten Nationen und der Vatikan gegen ein Todesurteil gegen Saddam Hussein ausgesprochen. Das dauerhafte Zerwürfnis des Westens kommt aber nur dem internationalen Terrorismus und nicht der Anti-Terror-Koalition zugute.

Siebtens: Die Hinrichtung Saddam Husseins wird eventuell von vielen Irakern als eine Art Schlussstrich unter die Vergangenheit verstanden werden, die dann den Wunsch nach dem schnellen Abzug der „Koalition der Willigen“ und eine Übertragung der Souveränität an das irakische Volk nach sich ziehen wird.

Die Todesstrafe für Saddam Hussein wird diesen in der arabischen Welt dauerhaft verklären

Achtens: Die Todesstrafe wird nicht von der Tatsache ablenken können, dass der amerikanisch angeführte Waffengang völkerrechtlich nicht legitimiert war. Vielmehr wird die Todesstrafe den amerikanischen Bruch mit dem Völkerrecht noch dauerhafter manifestieren und das Recht des Stärkeren zum „regime change“ ohne Nennung von Gründen außerhalb des Völkerrechts nachhaltig postulieren.

Und zu guter Letzt, große Teile der arabischen – wenn nicht der weltweiten – Öffentlichkeit werden bei einer solchen US-zugelassenen Schnell- und staatlich unterstützen Rachejustiz den Unterschied zwischen zivilisierten Rechtsstaaten und tyrannischen Regimes nicht erkennen. Auch dies wäre ein Erfolg für die Terroristen des 11. Septembers und alle Politverbrecher weltweit.

Falls es zu einem Todesurteil gegen Saddam Hussein kommen sollte, werden die USA also vor allem verlieren. Strategisch betrachtet können sie nur dann gewinnen, wenn Saddam Hussein lebenslänglich hinter Gittern „entmystifiziert“ wird. Weiterhin müssen die Amerikaner an einer detaillierten Aufarbeitung aller Verbrechen des Hussein-Regimes interessiert sein, die schon aus pragmatischen Gründen erst einmal mit den kleineren Lichtern der Baath-Größen beginnen muss. Deren Verbrechen können schneller und besser aufgearbeitet werden und verschaffen dem irakischen Sondertribunal Erfahrung sowie eine gewisse Glaubwürdigkeit. Zu dieser Einsicht müsste darüber hinaus die amerikanische Bereitschaft hinzukommen, eigene Fehler in der Kooperation mit Tyrannen in der Vergangenheit einzusehen und zu benennen. Nur dann wäre glaubhaft, dass die USA ein neues Kapitel in ihren Beziehungen zur arabischen Welt aufschlagen würden.

Wenn Bush also seine Rachegefühle hintanstellen würde, dann wäre der amerikanische Triumph der Festnahme Saddams eine günstige Ausgangslage, den Irak zu befrieden, eine Wende in der amerikanischen Politik im Nahen Osten einzuleiten und den Irak in eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft zu führen. Leider gibt es bisher keine Hinweise, dass die amerikanische Regierung diesmal aus der Geschichte lernen will. Vielmehr ist zu befürchten, dass sie sich noch tiefer in den irakischen Sumpf ziehen lassen wird. ULRICH ARNSWALD