Erdogan im Kompromiss der Kulturen

Der türkische Ministerpräsident besucht Berlin und findet freundliche Aufnahme in Kreuzberg – wo es für Sicherheitskräfte überschaubar ist. Die Wirtschaftsvertreter jedenfalls wissen, warum sie den EU-Beitritt der Türkei gerne unterstützen

aus Berlin BARBARA BOLLWAHN

Es ist eine gute Inszenierung. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird von der Europäischen Akademie Berlin eingeladen, die sich mit der europäischen Integration befasst. Nicht ins Regierungsviertel oder in den Sitz der Akademie in Grunewald, nein, nach Kreuzberg, wo dreißig Prozent der Bevölkerung türkischer Abstammung sind. Dort soll es ein „politisches Frühstück“ geben. Weil der Vorstandsvorsitzende der Akademie, der Bankier und Anwalt Jörg Peter Klein, im gerne so genannten Klein Istanbul wohnt, findet das inoffizielle Treffen hier statt.

In der geräumigen und geschmackvoll eingerichteten Wohnung mit Blick auf den Landwehrkanal und den türkischen Obst- und Gemüsemarkt drängen sich dutzende von türkischen Unternehmern, so dass das Servicepersonal die Tabletts mit Sekt und Schnittchen jonglieren muss. Denn zu dem Treffen hat neben der Europäischen Akademie auch Tüsiad geladen, der einflussreichste Unternehmerverband türkischer Industrieller in Deutschland und einer der wichtigsten Lobbyisten für eine Annäherung des Landes an die EU. Als Tüsiad im September vergangenen Jahres eine Niederlassung in Berlin eröffnete, flog Erdogan eigens ein. Die erste Niederlassung im Ausland war in Brüssel, dem Sitz der EU.

Außer den Unternehmern hat sich eine Haribomischung des politischen und wirtschaftlichen Lebens eingefunden. Da ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ebenso anzutreffen wie sein Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU), der Botschafter von Norwegen, Vertreter des türkischen Arbeitgeberverbandes, von Stiftungen und Vereinen, und der Abgeordnete Reinhard Grindel, zuwanderungspolitischer Hardliner der CDU im Bundestag. Die Opposition hatte angekündigt, den EU-Beitritt der Türkei im Wahlkampf zu thematisieren.

So hat jeder seine Interessen an diesem Treffen und will hören, was der türkische Ministerpräsident zum Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft zu sagen hat. Doch bevor es so weit ist, loben die deutschen und die türkischen Wirtschaftsvertreter die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die mehr als 1.000 deutsch-türkischen Joint Ventures, die großen Wachstumschancen und erklären, dass die EU langfristig nicht auf die Türkei verzichten könne.

Nur die Vorsitzende des Innenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), die als Vertretung von Innenminister Schily gekommen ist, erlaubt sich einen politischen Seitenhieb. Die auch für Integration zuständige Politikerin spricht von „politischen Kräften in diesem Land“ und ihrem „Antibeitrittskurs“. Das schüre Ressentiments und Vorurteile. „Wenn wir die Tür zuschlagen, gibt es einen großen Schaden. Das wollen wir nicht.“

Der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Arend Oetker, macht aus seinen rein wirtschaftlichen Zielen keinen Hehl. „Wir sind an einer Perspektive für die Türkei, was den EU-Beitritt betrifft, ganz eindeutig interessiert, schon aus Eigeninteresse.“ Er nutzt seine Rede, um ein passendes Hotel für seine private Türkeireise zu Ostern zu finden. „Vielleicht haben Sie eine Empfehlung?“, fragt er in Richtung des türkischen Ministerpräsidenten.

Der türkische Ministerpräsident spricht zuerst vom Dezember dieses Jahres, dem erhofften Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen, von der EU als „Kompromiss der Kulturen“, von den 75 Prozent der türkischen Bevölkerung, die einen Beitritt unterstützen, und dann wendet er sich an „unseren verehrten Freund Oetker“. „Sie werden sehr schöne Ferien verbringen können. Es wird für Ihre Sicherheit gesorgt werden“, verspricht er.

Obwohl Erdogan nicht den türkischen Markt besucht, wissen viele Türken dort, dass er in Kreuzberg ist. Das hat eine einfache Erklärung: „Einer seiner Bodyguards hat einen Bruder, der hier einen Stand hat“, erzählt stolz ein Händler, der Hühner- und Putenfleisch verkauft. Der Ministerpräsident hätte gerne vorbeigeschaut, sagt er weiter. „Aber die deutschen Sicherheitsdienste waren dagegen.“