Spielverbot im Nacken

Suche nach eigenen Ausdrucksformen jenseits europäischer Zentren: Den Beginn der Kampnagel-Reihe „Polyzentral“ bilden das tunesische Ensemble El Teatro und Raiz di Polon aus Kap Verde

von MARGA WOLFF

Honne Dohrmann gesteht, so manches mal über die „eigene Klischeebelastetheit seines europäischen Weltbildes“ gestolpert zu sein. Aber mitten in der tunesischen Sahara auf theatergebildete Leute zu treffen, habe sein Vorstellungsvermögen übertroffen. Dohrmann, der von Gordana Vnuk mit der Kuratierung des Kampnagel-Themas „Polyzentral“ betraut wurde (taz berichtete), erklärt denn auch seine Recherchen in Tunesien zu einer seiner bislang spannendsten Theaterreisen.

Welttheater im Spannungsfeld zwischen kulturellen Wurzeln und globaler Herausforderung: „Polyzentral“ stellt vom 27. Februar bis zum 15. März Tanz und Theater junger Künstler aus Afrika, Osteuropa und dem Nahen Osten vor, die sich abseits der kulturellen Zentren Europas mit ihren veränderten Lebenssituationen auseinander setzen.

Zum Auftakt des Festivals treten in dieser Woche die Tanzcompagnie Raiz di Polon von den Kapverdischen Inseln mit der Choreografie CV Matrix 25 und das tunesische El Teatro mit der Europapremiere von Ici Tunis auf, außerdem gibt es ein Konzert mit dem ungarischen Blasorchester Besh o droM. Zeitgenössische Bezüge sind dabei deutlich: Der zunehmende Demokratieabbau in Tunesien etwa schlägt sich in der Situation des Theaters nieder. Kaum noch jemand wagt es, die Verhältnisse in dem nordafrikanischen Land zu kritisieren, wie es Taoufik Jebali in seiner Satire Ici Tunis Abend für Abend auf seiner Bühne tut, das drohende Spielverbot stets im Nacken.

El Teatro, gegründet 1987 von dem Regisseur und Schauspieler Jebali, ist das älteste Privattheater Tunesiens. In seinem Umfeld bewegt sich eine intellektuelle Elite, die sich als Opposition im Land versteht. Mittlerweile gilt es als mutig, das El Teatro zu besuchen. Polizeiaufmarsch und Personenkontrollen beim Einlass in das allabendlich ausverkaufte Haus sind an der Tagesordnung.

Dabei hört sich der Inhalt des Stücks harmlos an: Zwischen Moschee, Hamam und Straßencafé entfaltet sich der Alltag einer alteingesessenen Familie. Doch als eine Schauspielerin unvermittelt ihr Gegenüber einen Spitzel nennt, dieser daraufhin die Brille abnimmt und aggressiv ins Publikum fragt „Wer hat da gerade gelacht?“, herrscht Totenstille. Solche Situationen gehören zum Alltag in Tunesien, nur dass es verboten ist, öffentlich darüber zu sprechen. Die zunehmende internationale Aufmerksamkeit, die Taoufik Jebali mit dem El Teatro genießt, entschärft jedoch den Druck und führte jetzt sogar zur ersten Einladung zu Tunesiens staatlichem Theaterfestival.

Auch der kapverdische Choreograf Mano Preto hat – dank weit über die Grenzen Europas hinaus geknüpfter Netzwerke im zeitgenössischen Tanz – mit seiner Compagnie Raiz di Polon schon zahlreiche Festivals bereist. Von Fernweh und der Sehnsucht nach Heimat erzählt seine Choreographie CV Matrix 25. Ein Gefühl, das die Kapverden als „Saudade“ bezeichnen, der ein wiederkehrendes Motiv ihrer Kunst beschreibt, bedingt durch die Geschichte des Landes. Denn zwei Drittel der Bevölkerung der früher portugiesischen Kolonie leben heute aus ökonomischen Gründen im Ausland.

Wer auf der Bühne allerdings allerlei rührselige Sentimentalitäten vermutet, irrt sich jedoch gründlich. Denn Petro hat in seiner Melange aus Tanz, Sprechgesang und den rhythmischen Klängen traditioneller Musikinstrumente zu einer atmosphärisch dichten Erzählweise gefunden. Das Unperfekte ist dabei Programm. Einigen mag noch der freche Überraschungscoup in Erinnerung sein, den die portugiesische Choreografin Clara Andermatt mit einer Tänzer- und Musikertruppe von den Kapverden 1998 in Hamburg beim Sommertheater Festival landete. Mano Petro war damals schon mit dabei. Mit seiner eigenen Compagnie hat er sich nun erfolgreich freigestrampelt. Denn das Für und Wider von Europas steten Einflüssen, auch und gerade im zeitgenössischen, sich von seiner ursprünglich rituellen Funktion lösenden, Tanz Afrikas, wird ein zentrales Thema dieses Festivals sein.

Raiz di Polon (Kap Verde): CV Matrix 25: Donnerstag, 27. 2., 20 Uhr, 28. 2., 1. 3., 21 Uhr, k1. – Besh o droM (Ungarn) Can‘t make me: 27. 2., 21 Uhr, kmh . – El Teatro (Tunesien): Ici Tunis: 28. 2. + 2. 3., 19.30 Uhr, k2