Kopftuchstreit spaltet Regierung

Trotz monatelanger Diskussion findet Nordrhein-Westfalens Kabinett keine gemeinsame Position – und will auf die Entscheidung des Parlaments warten. SPD-Fraktion fordert juristisches Gutachten an

VON ANDREAS WYPUTTA

Nordrhein-Westfalens SPD-geführtes Kabinett hat auch Monate nach dem so genannten Kopftuchurteil noch nicht zu einer gemeinsamen Linie gefunden. Während SPD-Justizminister Wolfgang Gerhards eine sehr liberale Interpretation pflegt, möchte Schulministerin Ute Schäfer (SPD) Beamten und Angestellten der öffentlichen Hand das Tragen des Kleidungsstück am liebsten verbieten lassen. „Wir wollen keinen Schnellschuss, der höchstrichterlichen Entscheidungen nicht standhält“, so Staatskanzlei-Sprecher Reinhard Boeckh.

Der Streit geht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom September zurück: Die Karlsruher Richter urteilten, der Staat könne muslimischen Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs verbieten, wenn dies ein Landesgesetz so regele. Geklagt hatte die aus Afghanistan stammende deutsche Lehrerin Fereshda Ludin, die betont, sie trage das Kopftuch allein aus religiösen, nicht aus politisch-ideologischen Motiven. Bundespräsident Johannes Rau hatte die Debatte neu entfacht, indem er forderte, der weltanschaulich neutrale Staat müsse alle Religionen gleich behandeln. Kirchenfunktionäre und konservative Politiker wie Bayerns CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber hatten Rau daraufhin vorgeworfen, er verrate die christliche Tradition des Abendlandes.

In dem ideologisch hoch aufgeladenen Streit setzt die Landesregierung auf externe juristische Beratung: Sie will ein Gutachten abwarten, das die SPD-Landtagsfraktion bei dem Verwaltungsrechtler Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität in Auftrag gegeben hat. Bislang geben sich besonders das Innen- und das Justizressort betont zurückhaltend. „Wir haben keine Probleme mit Richterinnen oder Staatsanwältinnen, die Kopftuch tragen wollen“, sagt Ralph Neubauer, Sprecher von Justizminister Gerhards.

Schulministerin Schäfer steht dem Kopftuch dagegen „ausgesprochen skeptisch“ gegenüber, betont ihr Sprecher Ralph Fleischauer: Die ehemalige Lehrerin sehe in dem Kleidungsstück ein „potenzielles Symbol für Islamisten“. Das Kopftuch stehe für ein „konservatives Frauenbild, das mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen“ sei. Schäfers Dilemma: Keinesfalls will sie die nordrhein-westfälischen Muslime verprellen – schließlich tragen landesweit höchstens 15 Lehrerinnen das Symbol im Unterricht. Außerdem könnte auch Angehörigen christlicher Kirchen, etwa in staatlichen Schulen unterrichtenden Nonnen, das Tragen von zu ihrer Tracht gehörenden Hauben untersagt werden – Protest, nicht nur aus Reihen der Kirchen, wäre sicher. Ein schlichtes Kreuz, etwa um den Hals getragen, dürfte dagegen als Schmuck gelten, sagt Fleischhauer.

Bis zu einer endgültigen Entscheidung werden daher noch Monate vergehen: In dieser Woche will die SPD-Landtagsfraktion über den bereits vorliegenden ersten Entwurf des Battis-Gutachtens debattieren. Dann folgt die parlamentarische Debatte: „Wieder einmal wird die Lösung eines Problems auf die lange Bank geschoben“, klagt CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers – die CDU hat schon einen restriktiven Gesetzentwurf vorgelegt. „Wenn die SPD wirklich ein Kopftuchverbot durchsetzen will, braucht sie nur unserem Antrag zuzustimmen.“ Damit dürfte sich das Parlament so gespalten zeigen wie die Landesregierung – und die LandesschülerInnenvertretung: Landesvorstandsmitglied Martin Ströhmeier räumt kontroverse Diskussionen ein, betont aber, alle Religionen müssten gleichbehandelt werden. Keinesfalls dürfe allein das Kopftuch als religiöses Symbol verschwinden, das Kreuz aber – wie von der bayerischen Staatsregierung angedeutet – bleiben: „Sollte auch NRW eine solch faschistoide Gesetzesregelung erlassen, ist der Landesregierung der Protest der Schüler sicher.“