Ein Kellerkind sieht Licht

Ein literarischer Appendix: Die Stadtteilbibliothek in der Vahr ist aus einem dunklen Schulgebäude in das schnieke Einkaufszentrum „Berliner Freiheit“ umgezogen, das gestern eröffnet wurde

taz ■ In der Vahr kann man jetzt richtig Zeit sparen: Nach dem ausgedehnten Shoppen darf sich die geneigte Kundschaft gleich noch ein paar Bildungshäppchen einverleiben – und das alles in einem Haus: Die Stadtteilbibliothek bietet ihr Lesefutter unmittelbar neben Schnellimbiss, Friseur, Drogeriemarkt und Klamottenläden feil – das gestern mit großem Pomp eröffnete Einkaufszentrum „Berliner Freiheit“ macht‘s möglich.

Der jüngste Bremer Konsumtempel gestern Vormittag um Zehn: Hunderte Neugieriger schieben sich durch die schnieke Glasdrehtür ins Innere des zweistöckigen „Multifunktionszentrums“, werden dort mit den unvermeidlichen Luftballons und Blümchen empfangen. Es duftet nach Fritösenfett und zuckersüßem Kuchen. Die Bremer drängeln, wühlen und glotzen, vor allem aber reden, quasseln, wispern sie.

„Man braucht gar nicht mehr in die Innenstadt zu fahren, hier gibt‘s einfach alles“, freuen sich zwei ältere Damen – und zeigen sich gegenseitig ihre gepflegten Gebisse. Der Bau sei „wirklich fabelhaft“ gelungen, schwärmen sie – und es sei so schön ruhig hier. Ruhig? Die Seniorinnen lächeln und deuten mit einer kleinen Handbewegung auf den literarischen Appendix des Einkaufszentrums – auf die Stadt-bibliothek Vahr.

Ein paar jugendliche Hacker surfen still durchs Internet, die ersten Besucher huschen an den Regalen vorbei: Neben Videos, CDs und anderem elektronischen Schnickschnack verfügt die Vahrer Bibliothek immerhin über 23.700 Leseexemplare. Ein junger Mann mit neongelbem Fahrradhelm und Bikerschuhen hat sich auf die Reiseratgeber gestürzt, ein älterer Herr mit dicker Hornbrille blättert sich andächtig durch die Abteilung für Großbuchstaben.

Die Kinderabteilung nimmt in der Bibliothek fast die Hälfte der rund 600 Quadratmeter ein. Wissbegierige Mädchen und Jungen könnten sich hier mit Büchern, aber natürlich auch mit CDs und Spielen eindecken, preist Christine Collin ihre Bibliothek an. Seit wenigen Wochen erst leitet die 51-Jährige die Bücherei. Damit hat sie den Posten von Jutta Segebrecht übernommen, die sich besonders engagiert für den neuen Raum eingesetzt hatte. Bislang war die Vahrer Stadtteilbibliothek gegenüber – im Kellergeschoss des Schulzentrums an der Kurt-Schumacher-Allee – untergebracht. Obwohl den Bibliophilen dort rund 300 Quadratmeter mehr zur Verfügung gestanden hatten, „führten die niedrigen Decken dort zu einem engeren Raumgefühl“, erinnert sich Collin mit Grausen. Jetzt darf sie dafür in einem weiß gestrichenen Großraum mit meerblauem Linoleumfußboden und hoher Decke residieren – in den dank einer großen Fensterfront das Tageslicht hereinfällt. Doch dieser Luxus kostet die Bibliothek auch mehr Miete. Da die Stadt aber nicht mehr Geld herausrückt, muss Barbara Lison, die Chefin der Bremischen Stadtbibliotheken, die Mehrkosten durch das Streichen einer Personalstelle und höhere Mitgliedsbeiträge ausgleichen.

„Heute lässt sich das schon sehr viel versprechend an“, sagt Lison um zwölf Uhr mittags und beginnt eifrig, die ersten Anmeldeformulare abzuzählen. Die Symbiose zwischen Geist und Geschäftswelt scheint zumindest heute zu funktionieren. „18 Stück in einer Stunde, so viel haben wir sonst vielleicht nach einem Tag“.Anja Damm