Genetisch türkisch

Die Stadt Lünen will per DNA-Test einen „Scheinlibanesen“ enttarnt haben. Jetzt soll die ganze Familie in die Türkei abgeschoben werden

„So ein Test beweist nichts. Es gibt schließlich kein Staatsangehörigkeits-Gen.“

von Miriam Bunjes

Hassan S. will nicht in die Türkei. „Ich kenne dort niemanden, und ich kann auch kein Türkisch“, sagt er. Alles nur Show, meint Jochen Neubauer, Sprecher der Stadt Lünen. „Die Familie S. kommt aus der Türkei und hat hier zwanzig Jahre lang als angebliche Libanesen Sozialleistungen abgezockt.“ Deshalb sollen die rund 200 Familienmitglieder jetzt „zurück in ihre Heimat“.

„Meine Heimat ist Lünen“, sagt Hassan S. Dorthin kamen seine Eltern Anfang der 80er. Aus dem Libanon, sagt der 26-jährige. „Schon meine Urgroßeltern wurden aus der Türkei vertrieben, weil sie Kurden waren. Sie gingen in den Libanon“, erzählt Hassan S. Die libanesische Staatsangehörigkeit bekamen sie nicht, die türkische verloren sie. „Staatenlos“ steht deshalb auch in den Papieren ihrer Nachkommen.

Und als staatenlose Libanesen gewährte ihnen Deutschland Asyl. Bis ein Familienmitglied auf die Idee kam, die Stadt Lünen zu verklagen, um einen Reisepass zu bekommen. „Wenn wir gewusst hätten, was dann passiert, hätten wir auf unsere Reisefreiheit verzichtet“, sagt Hassan S.

Die Stadt Lünen forderte eine DNA-Probe des Klägers. „Wenn ein Staatenloser einen Pass will, müssen wir schließlich versuchen, herauszufinden, aus welchem Land er kommt“, sagt Jochen Neubauer. Im Genpool des NRW-Landeskriminalamts wurde man fündig. „Der Kläger hat einen Verwandten in der Türkei“, sagt Jochen Neubauer. „Das hat der DNA-Test zweifelsfrei ergeben.“

Und deswegen sollen die Familie S. ebenfalls Türken sein. Und eben Asylbetrüger.

„So ein Test beweist überhaupt nichts“, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. „Es gibt schließlich kein Staatsangehörigkeitsgen.“ Zudem leben die Kurden seit dem Zerfall Osmanischen Reiches in verschiedenen Nationen. „Verwandtschaft aus Libanon, Syrien oder eben der Türkei ist bei Kurden völlig normal“, sagt Mesovic.

Trotzdem versuchen Behörden seit Jahren per Gentest so genannte Scheinlibanesen zu entlarven. Im Jahr 2001 zeigte die Ausländerbehörde 40 Libanesen wegen illegalen Aufenthalts an, DNA-Tests wurden erwirkt. „In fast allen Fällen bestätigte sich unser Verdacht“, sagt Brigitte Keil, Leiterin des Ausländeramts.

Abgeschoben wurden trotzdem nur die wenigsten. Denn auch wenn die Betroffenen angeblich „genetische Wurzeln“ in der Türkei haben – türkische Papiere haben sie deshalb nicht. Und ohne Papiere keine Abschiebung. „Die Scheinlibanesen müssen raus, und wenn wir sie aus dem Flugzeug abwerfen“, kommentierte der damalige Dezernent Ludger Hinsen die Genanalyse in der Lokalpresse.

„Inzwischen ermitteln wir ausschließlich über die Botschaften“, sagt Brigitte Keil. Und auch so habe die Ausländerbehörde allein im letzten Jahr 300 Betrugsfälle von Libanesen entdeckt. „Für diese Leute ändert sich dadurch zunächst einmal nur der Aufenthaltsstatus“, sagt Brigitte Keil. „In der Regel erhalten sie eine Duldung.“

Auch die Familie S. wird in Lünen nur noch geduldet. „Wir prüfen jetzt die Herkunft jedes einzelnen Familienmitglieds, ob und wohin wir sie abschieben können“, sagt Jochen Neubauer. „Das wird wahrscheinlich Jahre dauern.“ So lange bleibt die Familie auch auf kommunale Unterstützung angewiesen. Denn Menschen mit einer Duldung dürfen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.