„Ich bekenne mich zur Zipfelmütze“

JÜRGEN HURT

„Zu sagen: ‚Dit dürfen Se nicht. Sonst kriejen Se den Garten nicht‘, wie das lange gelaufen ist – das geht heute nicht mehr“

Er hat schon als Kind im Gartenzwergkostüm gesteckt. Und seine Laube in der Kolonie Oeynhausen ist exakt die gesetzlichen 24 Quadratmeter groß. Etwas anderes kann sich der oberste Kleingärtner Berlins gar nicht erlauben. Jürgen Hurt, 66, ausgebildeter Sozialarbeiter und ehemaliger Bäderamtsleiter von Zehlendorf, ist seit 27 Jahren Präsident des Landesverbands der Gartenfreunde Berlin, in dem 76.000 der 85.000 Parzellenbesitzer der Hauptstadt organisiert sind. Am kommenden Freitag, dem ersten Tag der Grünen Woche, wird er wie jedes Jahr auf dem Ball der Gartenfreunde zum Eröffnungswalzer bitten und das Gartenjahr 2004 einleiten. Ein Gespräch über Gartenzwerge, Tomatenzucht und gute Nachbarschaft

INTERVIEW JÖRN KABISCH

taz: Herr Hurt, haben Kleingärtner im Winter eigentlich gar nichts zu tun?

Jürgen Hurt: Natürlich nicht so viel wie im Sommer.

Und deswegen haben sich die Laubenpieper 1948 gedacht, da machen wir doch einfach mal wieder eine Grüne Woche.

Nein, die erste Grüne Woche fand im August statt, unter freiem Himmel. Die Hallen hatten ja alle durch den Krieg keine Dächer mehr. Das war damals eine ganz enge Zusammenarbeit der hier produzierenden Gartenbaubetriebe und der Kleingärten. Damals hatten wir in Berlin noch 105.000. Äpfel, Birnen, Möhren – alles, was der Garten im August hergab, wurde da gezeigt.

Mit den Nachkriegszeiten hat die Grüne Woche von heute dann nicht mehr viel zu tun?

Unserer Beitrag war schon immer einer der wenigen grünen Beiträge. Neben der Blumen- und der Kleingartenhalle gibt es heute ja nicht mehr viel Grün. Aber für die Kleingärtner war das schon damals eine Leistungsschau. Die haben nur das Allerbeste mitgebracht. Da ging es auch in der Kolonie Kürbisranke in Neukölln um die Ehre. Ich war übrigens damals als kleiner Bengel auch dabei, mit der Schreberjugend.

Dann hatten Ihre Eltern auch eine Laube?

Nein, mein Vater war Geschäftsführer in der Pharmazie. Das bedeutete gesellschaftlich unterer Mittelstand, und da hatte man keine Laube.

Wie kommt man dann zur Schreberjugend?

Bei mir war es vor allem wegen der Mädchen, mit denen man auf der Grünen Woche auftreten konnte – in Gartenzwerg-Kostümen. Ein Erwachsener stand vorne auf der Bühne und hielt eine Rede, wie wichtig doch die Gärten in der Großstadt sind. Und wir mussten an wichtigen Stellen rufen: „Gebt uns Gärten, gebt uns Gärten!“ Aber im Ernst: Mich interessierte dann bald vor allem der Sozialgedanke, der hinter dem Kleingartenwesen steckte – und das bis heute. Dass sich die Schreber um Kinder, Jugendliche und um alte Leute kümmerten. Es gab ja damals bei weitem nicht so viele soziale Einrichtungen wie heute. Das hat nebenbei gesagt dann auch meinen Berufswunsch geprägt: Sozialarbeiter.

Heute gärtnern Sie aber schon?

Ich habe mich erst nach der Geburt meiner Tochter um einen Garten beworben. Da war ich schon lange Kleingartenfunktionär. Die Wartezeit war damals viereinhalb Jahre. Und danach, als meine Tochter anfing, den Garten ganz intensiv zu erleben, bekam ich dann einen zugeteilt. Das war ideal. Ich habe damals erst so richtig das Gefühl für den Kleingarten bekommen. Wenn man in der Mittagspause für zwei Stunden in den Garten geht – man kann gar nicht glauben, welche Ruhe dann in der Kolonie Oeynhausen herrscht.

Und wie viele Gartenzwerge stehen in diesem Garten?

Nur einer. Den hat mir die Schreberjugend zu meinem 50. Geburtstag geschenkt. Die sagten, ich sei jetzt in dem richtigen Alter dafür. Und ich bekenne mich dazu, weil ich die Zipfelmützengesellschaft ja immer verteidigen muss – vor allem seitdem ich weiß, dass der Gartenzwerg ursprünglich aus Anatolien stammt. Meine Nachbarn, Türken, haben auch welche. Die sind unbemalt und irden.

Trotzdem steht der deutsche Gartenzwerg für ein paar negative Klischees über die Kleingärtner.

Ja natürlich, aber man muss sehen, Kleingartenanlagen sind nicht mehr als ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation, nicht nur ökonomisch …

Spießigkeit und Schlafmützigkeit sind so Vorurteile.

Also, wenn man Sanatoriumsverhältnisse will, ist man hier absolut falsch. Der Kleingarten ist ein Kommunikationsraum. Ich sage den Leuten immer: Ihr habt einen Vertrag unterschrieben und mindestens drei Nachbarn. Da muss man sich einfach immer wieder miteinander absprechen. Das ist auch so eine Art Gruppendruck.

Gute Nachbarschaft bedeutet also auch Disziplin?

Ja, aber auch bestimmte Sachen ausprobieren. Ich beispielsweise habe das Glück, dass in meinem Weg alle zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kartoffeln legen. Warum, weiß ich nicht, wahrscheinlich ist da gerade aufsteigender oder abnehmender Mond. Einer besorgt für alle Saatkartoffeln und ein paar Monate später schaut dann der ganze Weg nach den Kartoffeln. Und es ist so: Ich habe ja als Vorsitzender nicht ganz so viel Zeit und kann mir außerdem denken, wo die bei mir buddeln. Also bin ich schon mal zum Händler und hab’s geschafft, den Nachbarn ein paar dicke Kartoffeln unterzujubeln.

In jedem Kleingärtner steckt neben dem Vereinsmeier also auch ein kleiner Anarchist, der die Regeln von Fall zu Fall etwas weiter auslegt.

Das kann schon passieren. Kleingartenvereine sind eben etwas anderes als Sportvereine. Hier hat jeder seine partiellen Interessen, und die muss er durchsetzen können. Bei 437 Parzellen wie in meiner Anlage gibt es eben 800 verschiedene Meinungen. Da kann auf einmal genauso stören, wenn einer seine Kirschen mit einem Netz schützt, weil die Jungen ihm vorwerfen, dass sich die Singvögel in dem Netz mit ihren Krallen verhaken. Dass es manchmal kleinkrämerisch zugeht, finden Sie aber doch nicht nur in Kleingärten.

Und zu der Kleinkrämerei gehört auch, dass Heckenhöhen zentimetergenau reglementiert sein müssen.

Wissen Sie, die größte Kolonie in Berlin hat 1.104 Gärten. Das ist eine kleine Stadt. Weil die ungefähr 2.500 Menschen dort Bedürfnisse haben. Wie wollen Sie da ohne Regeln auskommen. Ich finde, der eigentliche Punkt ist, dass in den Kleingartenanlagen die Tore offen stehen, im Winter wie im Sommer. Das sind sie heute, das ist erst unter meiner Ägide entstanden. Man kann joggen oder mit dem Hund spazieren gehen.

Das haben die Kleingärtner einfach mitgemacht?

Leicht war es nicht. „Da rennen ja alle durch“, haben die geschrien. „Die Hunde scheißen uns vor den Zaun.“ Aber die haben gelernt: Der Einbrecher steigt ohnehin von außen über den Zaun. Wir wollen, dass die Kleingärten integraler Bestandteil des öffentlichen Grüns werden und somit von der Bevölkerung angenommen werden. Es hat da einen Strukturwandel und auch einen Entwicklungsprozess gegeben. Das können wir gerade derzeit schön beobachten.

Wie das?

Der Garten ist einfach in, gerade bei jungen Familien mit Kindern. Verheiratete unter 40 mit Kindern waren 2001 das erste Mal die größte Bewerbergruppe in unserer Statistik. Früher waren die eine ganz kleine Gruppe. Und die Vereine wollen auch jüngere Mitglieder. Aber da kann man einfach nicht mehr sagen: „Dit dürfen Se nicht, dit dürfen Se nicht. Und wenn Se sich nicht danach richten, kriejen Se den Garten nicht“ – so wie das jahrzehntelang oft gelaufen ist. Sondern die sagen: „Es gibt da bestimmte Eigenarten hier im Garten …“ Es gibt insgesamt mehr Gespräch. Und die Jungen akzeptieren grundsätzlich auch die Marotten der Kleingärtner und der Vereine.

Früher sind eher die Älteren in den Schrebergarten gegangen?

Ja. Leute ab Mitte fünfzig waren früher die meisten Bewerber. Die Kinder waren aus dem Haus und man hat sich langsam überlegt, was mach ich in der Rente.

Warum kommen heute die Jungen, wegen des billigen oder wegen des guten Gemüses aus dem Garten?

Ich denke, wegen beidem. Obst und Gemüse ist eben in den letzten zwei Jahren wieder viel teurer geworden. Ich beobachte schon, dass immer mehr Rasenflächen wieder für Gemüsebeete umgebrochen werden. Das hat auch den Effekt, dass Kinder wieder selbst feststellen können: Eine Mohrrübe aus dem Garten schmeckt viel besser als eine gekaufte. Das Kleingartenwesen passt sich eben den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen immer wieder an.

„Wenn man Sanatoriumsverhältnisse will, ist man hier falsch. Der Kleingarten ist ein Kommunikationsraum“

Dann ist auch das Vorurteil veraltet, Schrebergärtner seien deutschtümelnd?

Wir haben 27 Nationen im Kleingartenwesen. Griechen, Jugoslawen und natürlich sehr viele Türken. Es gibt da eigentlich keine Integrationsprobleme. Die haben eine andere Form der Nutzung, die ich wirklich bewundere. Wen man beispielsweise aus Anatolien kommt, hat man gelernt, mit einem kargen Boden umzugehen. Über die Riesenproduktion in diesen Gärten kann man immer wieder nur staunen.

Intensiv-Subsistenzwirtschaft also?

Na klar. Die Kürbisse von meinem Nachbarn sind doppelt so groß wie meine. Er bringt das Saatgut aus der Türkei mit, und ich bin froh, wenn ich was abkriege. Auch die Zäune zum Nachbarn werden da genutzt, zum Beispiel mit Bohnen. Wir haben von denen gelernt wie umgekehrt.

Osteuropäische Einwanderer sind auch schon unter den Kleingärtnern?

Sicher. Aber mit Russlanddeutschen haben wir leider noch einige Integrationsprobleme. Nicht was die Disziplin betrifft. Sondern die Art der Nutzung. Das sind Großfamilien. Und packen Sie mal 30 Leute auf 250 Quadratmeter, so groß ist im Durchschnitt ein Berliner Kleingarten. Da braucht es Kommunikationsflächen. Blumenbeete, Obst und Gemüse oder die Laube sind da fast egal. Da ist der Grill wichtig, und drauf liegen im Wechsel 150 kasachische Spieße. Da können Sie sich vorstellen, dass die Nachbarn das nicht jeden Mittag mitmachen. Nur mit Nörgeln ist es aber auch nicht getan. Da muss man sich dann schon zusammensetzen.

Muss der Chef der Berliner Kleingärtner seinen Mitgliedern, auch was den Garten angeht, ein leuchtendes Vorbild sein?

Der Erfinder des Bundeskleingartengesetzes, Ministerialdirigent Dr. Mainczyk, hätte wirklich Freude an meiner Laube gehabt. Als ich die gebaut habe, sind natürlich alle nachmessen gekommen, sogar schon in der Bauphase. Da haben wir am First ein Maßband befestigt, das auf den Boden hing, nur weil alle kamen und sagten: „Das ist doch höher als 3,5 Meter.“ Das ist die zulässige Höhe für eine Laube. Ich sage Ihnen, als Vorsitzender können Sie sich nicht einen Zentimeter mehr erlauben.

Und was ist mit dem grünen Daumen?

Mein Hobby sind Tomaten. Ich hab in der Regel bis zu dreißig Tomatenpflanzen. Die werden um die zweieinhalb Meter hoch und sind mein ganzer Stolz. Die letzten Tomaten hab ich nach diesem tollen Sommer erst im Dezember verbraucht.

Dann noch eine Frage an den Gärtner: Wie wird der Sommer 2004?

Na, so schön wie der letzte in keinem Fall. Nach diesem bisher milden Winter fürchte ich, dass es ein schwieriger Sommer wird: regnerisch und – weil der Frost die Larven noch nicht erwischt hat – mit sehr, sehr viel Schnecken.